mercoledì 24 ottobre 2007

repubblica delle banane

Cari amici,

es sind fast 3 Monate vergangen seit meiner letzten Mail und in der Toskana hält der Herbst Einzug. Regen, Sturm, Wolken, die Tage werden kürzer und so weiter... das wirklich Niederschmetternde in dieser Zeit ist aber nicht das Wetter, sondern die Politik. Italien ist, zu dieser Erkenntnis bin ich im Laufe der letzten Wochen gekommen, keine Demokratie. Warum ich zu dieser Überzeugung gekommen bin, erkläre ich anhand der Person Clemente Mastella und der italienischen Medienpolitik. Und dennoch gibt es noch kleine Hoffnungsfunken, die wenigstens in mir den Glauben an die Italiener aufrecht erhalten.

Clemente Mastella

Die Person, um die es hier geht, ist Bürgermeister der Stadt Ceppaloni (zirka 50 km nordöstlich von Neapel gelegen). Außerdem ist er Abgeordneter im italienischen Parlament. Er führt nebenbei die Partei UDEUR an, die bei den Wahlen 2006 ganze 1,4 % der Stimmen erhalten hat. Tja.. und dann ist er noch der italienische Justizminister.
Am 23. September hat er in seinem Blog die Frage gestellt, ob er das Schlechte in Italienrepräsentiert, ob der das Schlechte Italiens ist. Die Beantwortung überlasse ich euch.
Eine Biografie Mastellas soll das hier nicht werden, aber um welche Art Politiker es sich handelt, lässt sich schon mit einigen Beispielen aus seiner Vergangenheit belegen. Unter Berlusconi war er 1994 Arbeitsminister und seit 2006 sitzt er in der Regierung Prodi. Ein Opportunist halt und bis hierhin auch noch nicht ungewöhnlich. Dass er im Sommer 2006 im Jubel des italienischen Weltmeistertitels eine Amnestie für die Beteiligten des italienischen Fußball-Skandals forderte, geschenkt.
Auch über die Generalamnestie, die kurze Zeit später die Gefängnisse leerte, will ich nicht weiterWorte verlieren. Obwohl es schon interessant ist, dass viele der Freigekommenen rückfällig geworden sind und in den zurückliegenden Monaten auch einige Raubmorde darauf zurückzuführen sind. Das sind jedoch nur Kollateralschäden, denn die Amnestie war laut Kritikern Mastellas vor allem eine Verschleierungsaktion, um verurteilte Politiker freizubekommen.
Wer nach wenig italienischen Maßstäben urteilt, würde sich auch darüber mokieren, dass Mastella zusammen mit dem sizilianischen Regionspräsidenten Trauzeuge bei der Hochzeit des mafioso Francesco Campanella war. Natürlich wusste er nichts über dessen Verbindungen.
Was Mastella so unerträglich macht, ist, dass niemand ihm Einhalt gebietet und er, mit dem Amt des Justizministers ausgestattet, endgültig freie Hand hat, um sein schmutziges Spiel ungestört weiter zu betreiben.
Vor einigen Wochen kam heraus, dass in Catanzaro, Kalabrien, ein junger Staatsanwalt dabei war, einige Erkenntnisse zur Veruntreuung von EU-Geldern zu machen. Nachdem dieser Staatsanwalt, De Magistris, weiterwühlte, kam er zu weiteren interessanten Erkenntnissen, in dessen Gefüge das politische und wirtschaftliche Establishment der Nachbarregion Basilikata in Bedrängnis geriet. Und am Ende wurden sogar Ermittlungen gegen Romano Prodi, den italienischen Ministerpräsidenten, eingeleitet. Nachdem Mastella vorgewarnt wurde, dass bald auch gegen ihn ermittelt werden würde, hat er kurzerhand die Versetzung des Staatsanwalts in eine andere Region angewiesen. Der Justizrat, der die Aufgabe hatte, diese Versetzung zu beschließen, zog es jedoch aufgrund der starken öffentlichen Proteste erst einmal vor, die Entscheidung zu vertagen. In den darauffolgenden Wochen kam es zu öffentlichen Anschuldigungen Mastellas gegen De Magistris, der jedoch in Interviews nur darauf bestand, seinen Job zu erledigen. Vor einer Woche wurden nun tatsächlich Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch und Korruption gegen Mastella eingeleitet. Daraufhin wurde De Magistris amletzten Wochenende von seinen Vorgesetzten der Fall entzogen. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass De Magistris mittlerweile gegenüber Mastella befangen sei. Noch mal zum Mitschreiben: gegen den Justizminister wird ermittelt, dieser bricht einen Zaun vom Streit, der Staatsanwalt wehrt sich gegen die Anwürfe und gilt deshalb nun als befangen, da er ja nun persönlich gegen den Minister voreingenommen sei.
Anschließend kam es zu einer Regierungskrise, weil der Infrastrukturminister Antonio Di Pietro Mastella diesen Angriff auf den Rechtsstaat nicht durchgehen lassen wollte. Di Pietro, einst einer der Staatsanwälte, die Anfang der 90er im Ermittlungsverfahren mani pulite, die gesamte Korruption des italienischen politischen Systems aufdeckten und es damit zum Einsturz brachten, musste sich von Mastella nun öffentlich als „Analphabeten des Rechts“ titulieren lassen.
Die Angst vor einer drohenden Rückkehr Berlusconis an die Macht, hat Di Pietro anschließend klein beigeben lassen. Die Regierung Prodi wurde gerettet, der Rechtsstaat dabei geopfert.

Medienpolitik

Zuerst einmal muss ich mich entschuldigen. In der letzten Mail habe ich geschrieben, dass in Italien Presse und TV weitgehend gleichgeschaltet sind. De facto ist es so, aber Johannes B. Kerner hat mir, der deutschen Nation und Eva Herman nun klargemacht, dass man das böse NS-Wort „gleichgeschaltet“ nicht benutzen darf. Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Johannes B. Kerner gleichgesch... äh... auf Linie gebracht ist.
Also, zurück nach Italien. Wie gesagt, sind Presse und TV hier schon seit geraumer Zeit auf Linie gebracht worden. Umso ärgerlicher ist es für die italienischen Politiker, dass mit dem Internet eine Insel der Informationsfreiheit entstanden ist, die einen immer größeren Nutzerkreis findet. Der von den klassischen Medien komplett ignorierte Aufruf Beppe Grillos zum V-Day hat Erfolg gehabt. Demonstrationen fanden in vielen italienischen Städten statt und über 300000 Unterschriften wurden für Beppe Grillos Petition gesammelt. Das italienische Parlament ist gezwungen, sich mit Grillos Vorschlägen, von denen ich in der letzten Mail berichtete, zu befassen.
Anschließend ergingen sich das Staatsfernsehen RAI und die mittlerweile staatstragende römische Tageszeitung La Repubblica in Hetzberichten über den angeblichen Populisten und Demagogen Beppe Grillo, ohne sich auch nur annähernd mit seinen Forderungen argumentativ zu befassen. Die Mediaset-Senderkette von Berlusconi war verunsichert, ob sie sich nun freuen sollte, dass die Regierung unter Beschuss stand oder lieber mit auf Grillo schießen sollte. Am Ende entschied sich die Opposition, gemeinsam mit der Regierung, Grillo als unseriösen Volksverhetzer zu kennzeichnen und auch für Mediaset war somit die Linie vorgegeben. Der traurige Höhepunkt in der RAI war ein Kommentar des Chefredakteurs von tg2 (ungefähr vergleichbar mit „heute“ vom ZDF), der Grillo vorwarf, einem neuen Terrorismus Stoff zu bieten. Grillo antwortete auf einige Vorwürfe in seinem Blog.
Da er von der RAI seit 1993 nicht mehr vor die Kameras gelassen wird, bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Geschasst wurde er wegen mehrerer politischer Witze gegen die damals Mächtigen. Seine damaligen Rekordeinschaltquoten von bis zu 20 Millionen Zuschauern haben ihm aber einen Bekanntheitsgrad verschafft, der ihm heutzutage hilft, seinen Blog zu einem der zehn meistgelesenen Blogs weltweit zu machen.
Mittlerweile spielte sich in den italienischen Medien ein Phänomen ab, dass ein wenig an DDR-Zustände erinnert. Um die RAI-Nachrichten zu verstehen, musste man vorher Beppe Grillos Blog gelesen haben. So wie ein Blick in die Tagesschau zu DDR-Zeiten hilfreich bei der Lektüre des „Neuen Deutschland“ war. Da viele Menschen das Internet zwar für alles Mögliche, aber nicht zur politischen Information, nutzen, konnte die RAI auch fröhlich Sachen über Grillo verbreiten, die bei einem einzigen Blick auf seine Internetseite widerlegt waren.
Übrigens: als vor einigen Wochen dann doch mal ein RAI-Moderator aus der Reihe tanzte und den Ermittlern aus Catanzaro Platz in seiner Sendung bot, wurde er anschließend prompt vor eine Untersuchungskommission geladen. Dahinter steckte wieder mal Mastella, der darüber wütend war, dass die Staatsanwälte öffentlich behaupteten, dass aus dem Ministerium Druck auf sie ausgeübt wurde. Der Moderator der Sendung heißt Michele Santoro und war bereits während der Berlusconi-Regierung von der RAI verbannt worden.

Blogs

Mastella hat wie schon oben erwähnt, auch einen eigenen Blog, in dem er seine Sicht auf die Welterklärt. Mastella hat aber die Fantasie seiner italienischen Untertanen unterschätzt und die Blogwelt nicht richtig verstanden. In Mastellas Blog wird jeder Kommentar von ihm persönlich kontrolliert und, falls er genehm ist, freigegeben. Für die jungen, aufsässigen Blogger war das kein Problem, flugs sind mehrere Klone von Mastellas Blog entstanden, die Mastellas Einträge 1:1 übernahmen und alle Nutzerkommentare ohne Zensur veröffentlichten. Aus der offiziellen Adresse von Mastellas Blog clementemastella.blogspot.com wurde so zum Beispiel dementemastella.blogspot.com. Oder um es ins Deutsche zu übertragen: aus Clemens Mastella wurde Demenz-Mastella. Die Seite imitiert das Original bis ins Detail. Andere Anti-Mastella-Blogs versuchen mit der einzigen Waffe der Wehrlosen, der Satire, Mastella der Lächerlichkeit preiszugeben. Nachdem Mastella versucht hat, einen seiner Gegenblogs schließen zu lassen, sind sofort neue Anti-Mastella-Blogs erschienen.
Ob Mastella auch mit dem Anti-Blog-Gesetz zu tun hat, weiß ich nicht. Vielleicht ist es eingemeinsames Anliegen vieler Politiker, von Prodi bis Mastella, die Blogs zum Schweigen zu bringen. Man kann es nicht anders interpretieren als einen Versuch, die Informationsfreiheit ein weiteres Stück zu verringern. Letzten Freitag kam durch den Blog von Beppe Grillo ein Gesetzentwurf ans Licht, der eine staatliche Regulierung sämtlicher Veröffentlichungen im Internet zum Ziel hatte. Der Entwurf sieht vor, dass jede Internetseite, und auch jeder Blog, bei einer staatlichen Behörde registriert werden müssen, wobei natürlich die allgegenwärtigen italienischen Verwaltungsgebühren anfallen würden. Um die Registrierung aber überhaupt erst starten zu können, muss der Antragsteller eine Gesellschaft gründen und einen verantwortlichen Journalisten benennen. Anders als in Deutschland, ist in Italien nur Journalist, der in der Journalistenkammer eingeschrieben ist. Und um das zu sein, muss man vorher staatliche Prüfungen ablegen, für die man nur mit einem Hochschulabschluss und anderen Bedingungen zugelassen wird.
Eine solche „Regulierung“ würde das Aus für sämtliche privaten Blogs und Internetseiten bedeuten, beziehungsweise deren Umzug in ein, wie Grillo es ausdrückte, demokratisches Land. Was den Staatssekretär Ricardo Levi geritten hat, eine solche Unverfrorenheit auszuarbeiten, ist noch nicht ganz klar, aber der Aufschrei schaffte es dann doch von Grillo bis in die Repubblica. Die Regierung versuchte erst einmal abzuwiegeln und meinte, das Gesetz gelte nur für „große“ Seiten, keineswegs für kleine private Blogs. Im Zweifelsfall würde die Behörde entscheiden, ob etwas registrierungspflichtig sei oder nicht. Und die Behörde hätte angeblich auch keine politischen Interessen. Wer’s glaubt... und selbst wenn: wie jede Behörde, hat auch sie einen Legitimierungsdruck und will wohl lieber zu viel als zu wenig verwalten. Minister Di Pietro hat angekündigt, dass er mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes die Regierung zu Fall bringen würde. Ich hoffe, er bleibt wenigstens in dieser Frage hart.

Von einem Anti-Mastella-Blog: Springfields korrupter Bürgermeister und Justizminister Clemente Mastella

Finale

So... jetzt habe ich wohl erst mal genug politisiert... in der nächsten E-Mail werde ich mich hoffentlich wieder fröhlicheren Dingen zuwenden können. Italienische Weihnachtstraditionen oder so. Falls ich dieses Jahr noch eine Rundmail schaffe. Falls nicht... über Weihnachten und Silvester bin ich wieder in Berlin.

lunedì 6 agosto 2007

vaffanculo!

Cari amici, 

wenn ich Euch keine E-Mail, sondern einen echten Brief schicken würde, dann hätte ich wahrscheinlich diese Briefmarke auf den Umschlag geklebt. Rechtzeitig zum 50. Jahrestag der Präsentation des Fiat Nuova 500 (“nuova“ weil es schon in den 30er Jahren einen Ur-500 gab) wurde am 4. Juli der neueste Fiat 500 vorgestellt.
Ganz Italien war beherrscht von einer Cinquecentomania, nach langen Jahren der Krise war die Präsentation des neuen Fiat 500 der Höhepunkt der erfolgreichen Sanierung des Fiat-Konzerns. Die neuen Modelle verkaufen sich prächtig. Endlich können die Italiener wieder stolz auf „Made in Italy“ sein. Dass der Fiat 500, ein moderner italienischer Mythos, nun in Polen gebaut wird, ist da nur ein nebensächliches Detail am Rande. Außerdem baut ja auch VW den Käfer-Nachfolger in Mexiko. Ich würde (und werde?) den Fiat 500 jedenfalls kaufen.

Ist er nicht schick?
Luca de Montezemolo, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Italiens und ein wahrer Meister der Ämterhäufung (Chef des Arbeitgeberverbandes Confindustria, Vorstandschef von Fiat, Ferrari und Maserati, Präsident der römischen Universität La Sapienza, Chef der Messe von Bologna und vieles mehr), sieht die Sanierung von Fiat als Vorbild für die Sanierung ganz Italiens. Wegen solcher und ähnlicher Äußerungen wird ihm immer wieder ein Interesse an einer Karriere als Politiker unterstellt. Er dementiert zwar, aber das muss ja nichts heißen.

V-Day

Inkompetenz, Verantwortungslosigkeit, Misswirtschaft, Desinteresse, Korruption, Vetternwirtschaft. So muss es wohl bei Fiat zugegangen sein, bis der neue Manager Sergio Marchionne aufgeräumt hat. Und so ähnlich geht es im Großen und Ganzen auch in der italienischen Politik zu, egal ob rechts oder links. Da jedoch beide politischen Lager kein Interesse an großen Änderungen haben und Presse und Fernsehen auch 1,5 Jahre nach Berlusconis Abwahl noch weitgehend gleichgeschaltet sind, nimmt man in der medialen Öffentlichkeit eher gleichgültig von den andauernden, skandalösen Zuständen in der italienischen Politik Notiz.
Zumindest im Internet entwickelt sich langsam eine Art Gegenöffentlichkeit, die gegen die herrschenden Bedingungen angehen will. Von einer Initiative des Kabarettisten Beppe Grillo ausgehend, soll am 8. September landesweit der V-Day, der Vaffanculo-Day, stattfinden. Beppe Grillo (ein lesenswerter Artikel über ihn findet sich bei der Zeit: http://www.zeit.de/2006/04/Grillo) hat mit einem Internet-Blog vor einigen Wochen angefangen, seine Idee zu veröffentlichen und bereits zahlreiche Unterstützer für sein Projekt gefunden.
Der Vaffanculo-Day soll auf den Plätzen der italienischen Städte am 8. September stattfinden, praktisch soll es eine Großdemonstration der enttäuschten Massen werden, die den Regierenden ein lautes “Vaffanculo!“ zubrüllen sollen. Vaffanculo, müsste man in diesem Sinn mit „Haut ab, ihr Arschlöcher!“ übersetzen, die eigentliche Übersetzung folgt im nächsten Kapitel.
Speziell geht es Grillo mit seiner Aktion darum, verurteilte Straftäter aus dem Parlament zu verbannen. Zu Beginn seiner Aktion gab es 25 verurteilte Abgeordnete, die vor allem in den Reihen der Berlusconi-Partei Forza Italia sitzen. Doch mittlerweile wurde so viel Wirbel gemacht, dass zumindest ein Abgeordneter bereits vom Parlament ausgeschlossen wurde, Cesare Previti, der im Auftrag von Berlusconi Richter bestochen hat.

Der 8. September, Jahrestag des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten von 1943, wurde von Grillo nicht ohne Grund gewählt. Er will damit darauf hinweisen, dass sich seit dem Zusammenbruch von Faschismus und Monarchie nichts geändert habe. Im Gegenteil, die politische Kultur Italiens sei mittlerweile an ihrem Tiefpunkt angelangt.
Vielleicht bewirkt der Vaffanculo-Day ja tatsächlich etwas. Ich werde mit meinem neuen Arbeitskollegen am 8. September in Bologna sein. Abends gehen wir zum Daniele-Silvestri-Konzert und tagsüber zum Vaffanculo-Day. Che spettacolo!

Parolacce

Wie oben versprochen und von vielen Italienkennern vermutlich seit Jahren sehnsüchtig erwähnt, hier kommt es: das Schimpfwort-Kapitel. Zartbesaiteten Personen empfehle ich, die folgenden Sätze zu überspringen, es bleibt nicht jugendfrei und es wird teilweise wirklich vulgär. Anlässe für dieses Kapitel gibt es gleich zwei. Zum einen Beppe Grillos Initiative, zum anderen die Entscheidung des Kassationsgerichts, dass die Redewendung vaffanculo aufgrund ihrer weiten Verbreitung und alltäglichen Anwendung nicht mehr strafbar sei. Dennoch würde ich niemandem empfehlen, mit dem Wort allzu leichtfertig umzugehen.
Die richtige Übersetzung von vaffanculo, das eigentlich eine Abkürzung von vai a fare in culo ist, lautet: Geh und steck ihn in ’nen Arsch. Die harmlosere deutsche Version ist „Leck mich am Arsch!“ Das Problem als Ausländer ist ja leider, dass man die ganzen italienischen Schimpfwörter immer innerlich übersetzt und dann erschaudert. Vor einigen Jahren, ganz am Anfang meines italienischen Lebens, war ich bei T. zu Hause. Als seine Mutter ihm etwas zurief, antwortete er mit Porca puttana!, wörtlich übersetzt heißt das Sauhure. Aus der gleichen Liga gibt es noch Porca troia, Porca miseria und andere (Sauschlampe, Sauelend). Diese Wörter richtet man im Gegensatz zum vaffa jedoch nicht an Personen, sondern es sind Ausrufe, zum Beispiel wenn einem etwas runterfällt. T. hat seine Mutter also nicht als Sauhure beschimpft, sondern es war eher ein genervter Ausruf. Ähnlich benutzt man auch das wichtigste italienische Schimpfwort: cazzo. Die Übersetzung lautet Schwanz, das Wort wird aber eher wie „Scheiße“ im deutschen benutzt. Trotzdem gibt es auch die wörtliche Übersetzung von Scheiße, nämlich merda. Mit cazzo werden noch eine Reihe weiterer Wörter gebildet. Fare una cazzata – Scheiße bauen. Incazzarsi – sich stark aufregen. Bevor wir uns dem Hinterteil zuwenden, sollten aber noch die Hoden als Basis für Schimpfwörter nicht fehlen. Berlusconi hat kurz vor den Wahlen 2006 die Wähler der Linken als coglioni bezeichnet. Im deutschen würde man Idioten sagen. Leute, die einfach zu blöd sind und dann halt die Falschen wählen. Eine Ableitung von coglioni findet sich in essere rincoglionito, ungefähr mit „verpeilt sein“ zu übersetzen. Die coglioni finden aber auch dann Verwendung, wenn einem etwas auf die Eier geht (endlich mal eine passende Übersetzung!). Demjenigen, der rumnervt, sagt man dann irgendwann non rompere i coglioni oder non rompere le palle (zerbrich nicht die Eier – geh mir nicht auf die Eier).
Der culo (Arsch) kommt im italienischen nicht nur im vaffanculo vor, sondern auch in einigen weiteren Redewendungen. Wenn einen im deutschen jemand auf den Arm nimmt, dann benutzt der Italiener in der jugendfreien Version prendere in giro (in die Runde nehmen) oder in der vulgären Version prendere per il culo (jemandes Arsch „nehmen“).
Es ließe sich sicherlich ein ganzes Buch über die italienische Schimpfkultur schreiben und wahrscheinlich existiert es auch. Die Vielfalt italienischer Schimpfwörter habe ich jedoch nicht beschrieben, um die Italiener als vulgäres Volk bloßzustellen, sondern um Euch einen Eindruck von der Kreativität dieser Menschen zu liefern. Wo die Deutschen bloß Scheiße kennen, kann man bei einem Missgeschick gespannt sein, welchem der breiten Schimpfwortpalette sich der Italiener nun bedienen wird. Bevor ich diesen kleinen Exkurs in die Abgründe Italiens beende, möchte ich Euch nur noch darauf hinweisen, dass auch Dialekte eigene Schimpfwörter haben. Cazzo heißt in Sizilien beispielsweise minchia und in Ligurien belin. Wer also aus Berlin kommt und sich in Genua nicht zum Gespött machen will, der muss das R sehr stark betonen: Berrrlino. Sonst würde er Gefahr laufen, etwas zu sagen, was er eigentlich nicht sagen wollte: „ich komme aus Schwanz“.

Family-Day & Varo

Über das Vorhaben der Regierung, eine Art Homoehe einzurichten, hatte ich ja bereits in einer vorherigen Mail kurz berichtet. Und auch über den Einfluss des Vatikan, der jegliche Entwicklung in diese Richtung mit Moralpredigten torpediert. Und so sah auch die Opposition eine willkommene Gelegenheit, mit dem moralischen Rückhalt der Kirche als Hüterin der Familie zu präsentieren. Nahezu zeitgleich beklagte sich Berlusconis Ehefrau zwar öffentlich in der Repubblica über die Eskapaden ihres Gatten, aber das war ja wenigstens ein Beweis seiner heterosexuellen Manneskraft. Am Ende schafften es das rechte Parteienbündnis und katholische Vereinigungen in Rom einen "Family-Day" zu veranstalten, auf dem eine Million Menschen für die italienische Familie (also gegen die Homoehe und kaum verhüllt auch gegen Homosexuelle) und die wahren christlichen Werte demonstrierten. Tatsächlich wurden alle Anstrengungen, die Homoehe zu ermöglichen, erst einmal auf Eis gelegt. Den Vatikan wird es freuen. Das Abendland und seine christlichen Werte scheinen gerettet.
Die christlichen Werte verkörpert anscheinend auch eine der Luxusyachten, die in den letzten Monaten endlich in der Werft fertiggestellt wurde und bei der Feier anlässlich der Schiffstaufe (italienisch: varo) vom livornesischen Bischof gesegnet wurde. Die Verbindung von Geld und Religion hat sich offensichtlich bis in die Neuzeit erhalten.

Der Bischof auf der Schiffstaufe. Und am linken Rand sieht man die russische Flagge zu Ehren des Besitzers.
Die Schiffstaufe fand am 7. Juli auf dem Werftgelände statt, einige Wochen später wurde das Schiff, die ANNAEVA an den russischen Auftraggeber übergeben. Über die weitere Identität des Besitzers weiß man nicht viel. Er war selbst anwesend, als vorbildlicher Wahlitaliener spricht er perfekt italienisch, lebt in Moskau und auf Sardinien und der Name des Schiffes wurde zu Ehren seiner beiden kleinen Töchterlein Anna und Eva gewählt. Nachdem der Bischof seinen Auftritt hatte, wurden die italienische und anschließend die russische (also eigentlich die sowjetische) Hymne abgespielt und noch einige Reden gehalten.
Anschließend ging man zu Tisch. Unter einem riesigen Festzelt fanden die zahlreichen Teilnehmer Platz, darunter als Vertreter von Yacht Srl ich, mein Arbeitskollege und zwei Freundinnen, die gerade auf Besuch aus Deutschland da waren. Schließlich wurde uns das Menü gebracht. Leider war es eher mittelmäßig bis enttäuschend. Der Vorspeise, einer kleinen Fischbrühe, die mehr Brühe als Fisch war, folgte der erste Gang: risotto mit Garnelen. Das war zwar nicht sehr spektakulär, aber doch noch ganz akzeptabel. Der zweite Gang hingegen war eine wirkliche Enttäuschung: eine Scheibe rohen Thunfischs mit einer Art gelber Erbsen und einem Salatblatt. Wenigstens das Dessert, eine sehr leckere und cremige Torte, entsprach den Erwartungen. Anschließend gab es noch vino santo, eine Art Likör, in den die berühmten cantuccini, die toskanischen Mandelkekse, getaucht wurden. Mir als Autofahrer blieb von den Weinen, die während des Dinners serviert wurden, leider nur die Möglichkeit, mal anzukosten.

Die ANNAEVA, 56 Meter lang.

Sommer

Neben all diesen Neuigkeiten, sollte ich Euch noch erzählen, dass südlich der Alpen mittlerweile eine warme, sonnige, regenarme Jahreszeit namens Sommer vorherrscht und das ganze Leben ein wenig leichter macht. Seit knapp 2 Monaten springe ich nun fast jeden Tag in den Pool und habe es in der ganzen Zeit noch nicht ein einziges Mal geschafft, einen Tag am Meer zu verbringen.
Da gerade der klassische italienische Urlaubsmonat begonnen hat, habe auch ich nächste Woche frei. Im Gegensatz zur restlichen italienischen Bevölkerung werde ich diese Zeit aber nicht im Stau an einer Autobahnzahlstelle verbringen, sondern die freie Zeit meiner Magisterarbeit widmen. Und vielleicht gelingt es mir, mich einen Nachmittag von der Magisterarbeit loszureißen, um mich auf den weißen Stränden von Vada und Cecina zu sonnen. Erst am 27. August, einem Montag, werde ich mich ins Auto setzen und auf den Weg Richtung Heimat machen. Immer in der Hoffnung, dass an diesem Tage ein einigermaßen zügiges Reisen möglich sein wird.
In der Zeit vom 27. August bis 7. September werde ich also in Berlin sein und hoffentlich auch die Möglichkeit haben, den einen oder anderen von Euch wiederzusehen. Und wenn ich dann wieder nach Pieve di Santa Luce zurückkehre, werde ich noch eine Woche lang den Swimmingpool genießen können. Anschließend geht es auch in Italien wieder langsam auf den Winter zu.

Mein Swimmingpool.

lunedì 2 aprile 2007

la casa di marzapane

Cari amici,

rechtzeitig zum Frühlingsbeginn melde ich mich wieder aus meiner italienischen Wahlheimat. In den vergangenen Monaten hat sich wieder ein wenig erzählenswerter Stoff angesammelt und daran möchte ich Euch natürlich weiterhin teilhaben lassen.

S.

Die Firma, für die ich arbeite, hat selbst kaum Beschäftigte, sondern mehrere Subunternehmer unter Vertrag, die für die Ausführung der Arbeiten auf den Schiffen verantwortlich sind. Einer dieser Subunternehmer war S. S. kommt ursprünglich aus Bangladesh, ist vor einigen Jahren nach Italien gekommen und hat in Ancona eine Yachtenlackierungsfirma gegründet. Mit dieser bewarb er sich erfolgreich um einige Aufträge bei unserer Firma in Livorno. Problematisch wurde es jedoch, als sich nach einiger Zeit herausstellte, dass er und seine Mitarbeiter nicht wirklich in der Lage waren, die Arbeiten in der erforderlichen Art und Weise auszuführen. S. jedoch ist eine jener Gestalten, die sich von solchen Details nicht beeindrucken lassen und tausend Gründe vorbringen, um das Vertrauen der Auftraggeber in seine, nicht vorhandenen, Fähigkeiten nicht zu verspielen. Und so versuchte S. also, sich durch alle notwendigen Arbeiten durchzuwurschteln. Und natürlich entstanden da weitere Probleme. Mit meinem Chef, seinem Auftraggeber konnte er aber nicht streiten. Und da V. als dessen Tochter und G., als ihr Freund, familiär mit dem Chef verbunden waren, war ich nun das schwächste Glied in der Kette, wo S.'s Intrigen ansetzten. Wie sehr ich zur Familie gehöre, war ihm natürlich nicht klar.
Da es meine Aufgabe als Logistikverantwortlicher ist, den Auftragnehmern die Mittel zur Arbeit zu organisieren, versuchte S. meine Fähigkeiten anzuzweifeln, um sich rechtfertigen zu können. Dazu ließ er absichtlich Zeit verstreichen, um immer erst im letzten Moment nach Dingen zu fragen, die er brauchte (Materialien, Beleuchtung, Gerüste, Belüftung, was man halt so braucht). Und auch wenn die Taktik nicht aufging, so musste ich mich öfter gegen diese Strategie zur Wehr setzen und letztlich entstand zwischen mir und S. eine starke Spannung, die von ihm fortlaufend durch Beleidigungen und Geschrei verschärft wurde.
Es lief schließlich alles auf einen Showdown hinaus, der dann auch Mitte Februar stattfand. S. war wieder einmal in Verzug und als ich ihm die Frage stellen wollte, wann er denn für den nächsten vorgesehenen Arbeitsschritt die Vorbereitungen abschließen wollte, ignorierte er mich einfach. Ich folgte ihm also und redete auf ihn ein, bis er sich umdrehte und mich anschrie, dass er mit mir nicht reden würde und dabei einige italienische Schimpfworte gebrauchte. Daraufhin erhob ich meinen drohenden Zeigefinger, um ihm zu erklären, dass er sich nicht erlauben solle, mich anzuschreien. Er schlug mir den Arm nieder, ich schubste ihn ein wenig an der Schulter und er fing an loszuzetern und schrie wild umher „polizia, carabinieri!“. Anschließend hat meine Firma sofort alle Verträge mit ihm gekündigt. Ich wurde von der Werftleitung für einen Tag suspendiert, da für sie die Schuldfrage nicht zu klären war.
Einige Tage später bekam ich schließlich die Aufforderung der Carabinieri, mich bei Ihnen zu melden. Dort erwartete mich maresciallo L., um mich darüber zu informieren, dass gegen mich Anzeige erhoben wurde. L. las mir also die Vorwürfe vor, war aber selbst nicht von deren Wahrheitsgehalt überzeugt, was offensichtlich wurde, als er mich fragte, was menare hieße. Ich verneinte und er erklärte mir lächelnd, dass es umgangssprachlich „schlagen“ bedeuten würde und ich dieses Wort laut Anzeige benutzt habe, um S. zu drohen. L. war überhaupt ein sehr freundlicher Mann, ein Carabiniere, so wie man ihn in der Fernsehserie präsentiert bekommt. Als S. später die Anzeige zurückzog, musste ich noch mal zu den Carabinieri, um mein Einverständnis zu erklären. Anschließend plauderte ich noch ein Weilchen mit L. (wir unterhielten uns zum Beispiel über seine Zeit im Irak, er war dort einige Monate stationiert) und er meinte, dass er mich mal in der Werft auf einen Kaffee besuchen kommen würde. S. hatte die Anzeige aus zwei Gründen zurückgezogen. Erstens hatte L. seinen alten Kumpel Z., den Sicherheitschef der Werft, gebeten, mal auf S. einzuwirken. Für Z., mit dem V. und ich uns schon seit einiger Zeit angefreundet hatten, war das natürlich kein Problem. Außerdem hatte meine Co-Chefin, T.'s Mutter, mit S. telefoniert. Der war ein wenig verzweifelt, da ihm die Verträge entzogen wurden und wollte uns mit der Anzeige sozusagen erpressen. Sie sagte ihm also, man würde darüber mit ihm reden, wenn er die Anzeige zurückgezogen hätte. Er tat dies, rief bei ihr an, sie sagte ihm „Bravo!“ und beendete anschließend das Gespräch.

Blitzer

Vor einigen Wochen zappte ich ein wenig durch das Fernsehprogramm und blieb schließlich bei den Regionalnachrichten hängen. Auf einmal war meine Heimatgemeinde im Bild. Ein Fernsehteam berichtete aus dem Rathaus, in dem ich mich vor einem halben Jahr angemeldet habe. Der Grund für die plötzliche Aufmerksamkeit die Santa Luce in italienischen Medien genoss, war folgender: auf die Einwohnerzahl hochgerechnet kassiert keine andere italienische Gemeinde soviel Geld an Strafzetteln wie meine. Die Einnahmen aus den Strafzetteln entsprachen denen der sonstigen Steuern und Abgaben zu satten 326%. Und das im Namen der Verkehrssicherheit.
Der Blitzer von Santa Luce steht an der Staatsstraße SS206, die Pisa und Cecina verbindet. Die ganze SS206 ist übrigens mit Blitzern gespickt. Der von Santa Luce steht an einem schnurgeraden Abschnitt. Weit ab von Ortschaften, innerhalb des Verwaltungsgebiets der Gemeinde, gilt dort ein Tempolimit von 70 km/h. Dieses Limit herrscht auf der ganzen SS206, ausgenommen einige 50-km/h-Abschnitte. Auf den Nebenstrecken, die meist weniger gut ausgebaut sind, gelten dann die üblichen 90. Und Blitzer hat man dann auch nicht mehr.
Der positive Aspekt ist, dass meine Gemeinde, mit Hilfe des Blitzers, von finanziellen Schwierigkeiten verschont bleibt. Für das Eintreiben der Gelder ist übrigens der gleiche Gemeindepolizist zuständig, der im Oktober meine tatsächliche Anwesenheit kontrolliert und damit meinen italienischen Wohnsitz legalisiert hat. Als ich ihn damals fragte, ob ich mein Auto ummelden müsste, meinte er, dass ihn das nicht interessieren würde. Jetzt weiß ich auch, warum. Der Mann hat wichtigeres zu tun, als sich um mein deutsches Kennzeichen zu kümmern.

Der Blitzer von Santa Luce.
Das famose Marzipanhaus

Ebenfalls beim Zappen bin ich auf eine andere Entdeckung gestoßen. Vor einigen Tagen lief die italienische Version von „Wer wird Millionär?“ Ich wäre bereits an der 50-Euro-Frage gescheitert. Gefragt wurde, woraus das Haus der Hexe aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“ bestand. Die einzig richtige Antwort stand nicht zur Auswahl, der Kandidat kam jedoch mit der Antwort „Marzipan“ durch. Ein wenig Recherche im Internet brachte mich zu der Erkenntnis, dass das Hexenhaus in der italienischen Fassung tatsächlich aus Marzipan besteht. Nachfragen bei echten Italienern lösten nur Unverständnis aus. Ich wurde gefragt, woraus es denn in der deutschen Version bestünde. Pfefferkuchen wird mit pane speziato übersetzt und so nutzte ich dann auch diesen Begriff. „Das ist doch dasselbe!“ sagten mir G. und V. Nach weiteren Nachfragen stellte sich heraus, dass die beiden weder Pfefferkuchen noch Marzipan jemals gegessen hatten. Herr B. hingegen beschwerte sich, dass das wieder typisch für die Deutschen sei: „Uns erzählt ihr seit Jahrhunderten, dass es aus Marzipan bestünde und in Wirklichkeit hauste die alte Hexe in einem Pfefferkuchenhaus!“

Finale

Bevor ich mich verabschiede, noch ein Wort zur Magisterarbeit. Ja, es geht tatsächlich voran. Meine Forschungen in den italienischen Zeitungsarchiven werden durch eine sehr gut ausgestattete Pisaner Provinzialbibliothek und ihr unglaublich freundliches und hilfsbereites Personal enorm erleichtert. Demzufolge ist das Ziel, zu meinem 30. Geburtstag den Abschluss zu haben und damit endgültig kein Student mehr zu sein, in greifbare Nähe gerückt. Na ja, Zeit wird’s aber auch!

Ein frohes Osterfest und einen schönen Frühlingsanfang Euch allen!

Buona Pasqua!

Ciao,
Daniel

PS: Es folgen noch 3 weitere Fotos...

Livorno von den Bergen im Osten der Stadt aus gesehen.

Das Tal, in dem auch Pieve di Santa Luce liegt.

„Absolutes Müllabladeverbot. Kontrolliertes Gebiet.“ Gesehen in Pisa.

domenica 21 gennaio 2007

in prima classe

Cari amici,
 
zuallererst ein frohes neues Jahr an Euch alle, vor allem jenen, denen ich es bisher noch nicht persönlich oder telefonisch wünschen konnte. Es ist Sonntag, der 21. Januar, 15:08 Uhr und ich sitze im Zug nach Livorno. Wieder einmal habe ich das Wochenende bei T. verbracht und dieses Mal habe ich nicht das Auto benutzt, sondern mir das Vergnügen gegönnt, in der ersten Klasse des ICplus der italienischen Staatsbahnen zu reisen.

Trenitalia

Trenitalia oder auch FS – ferrovie di stato ist der Name der staatlichen italienischen Eisenbahngesellschaft. Und wenn mal nicht Streik angesagt ist, dann bietet sie eine wunderbar günstige Möglichkeit, um Italien zu bereisen. Die Strecke Genua-Livorno (ca. 200km) kann man so für schlappe 9 Euro zurücklegen, wenn man sich mit 3,5 Stunden Fahrzeit und der Zweiten Klasse, eines Bummelzuges zufrieden gibt. Die Züge haben zwar einen etwas morbiden Charme, was allerdings auch dem nicht so geglückten Design der Bahngesellschaft geschuldet ist. Die Farbgebung besteht aus einem matten blau, einem matten giftgrün und einem immer schmutzigen weiß. Wenn man mal das Außendesign weglässt, so bieten die ICplus-Züge, besonders in der erwähnten ersten Klasse (in der ich mittels Bordsteckdose mein Laptop nutzen kann) jedoch ein komfortables und angenehmes Reisen. Und falls der Zug auch pünktlich sein sollte, bin ich in 2 Stunden in Livorno. Das Ticket hat mich übrigens 22 Euro gekostet. Bei den Preisen ist es wohl auch kein Wunder, dass Trenitalia jedes Jahr Milliardenverluste schreibt.
Mittlerweile ist es 15:21 Uhr und wir haben den ersten Halt in Rapallo. Dem geschichtsbewanderten Leser werden gleich einige Gedanken dazu im Kopf schwirren. Und um die dazugehörige Frage, die Euch alle bewegt, auch gleich zu beantworten: es gibt noch keine Neuigkeiten zu meiner Magisterarbeit.

Wetter

Während in Deutschland Orkane ganze Bahnhöfe einstürzen lassen, herrscht in Italien der wärmste Winter seit fast 150 Jahren, Freitag wurden in weiten Teilen des Landes Temperaturen von über 20 Grad gemessen. Auch wenn diese Extremmarke nicht alle Tage erreicht wird, so sind Tageshöchsttemperaturen von 15-17 Grad in Livorno diesen Winter die Regel. Hinzu kommt ein relativ trockenes Wetter, nur gelegentlich gibt es auch mal ein paar Regentage. Der Wechsel nach Italien hat sich also durchaus gelohnt.
Und das nicht nur wettertechnisch: Da ich im Herbst auch meine erste Gehaltserhöhung bekommen habe, sehe ich nun manche (kostspielige) italienische Besonderheit ein ganz klein wenig gelassener.

La Finanziaria

Der Haushalt, die die Regierung Prodi in den letzten Monaten auf den Weg gebracht hat, erhitzt jedoch noch immer die italienischen Gemüter. Obwohl die breite Masse von geringeren Einkommensteuern profitieren wird, hat es die Opposition geschafft, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass alles teurer, ungerechter und ineffizienter wird.
Ein Beispiel ist die Fernsehsendung „... e io pago!“, die Samstagabends auf Canale 5, einem der Berlusconi-Sender läuft. Zwar ist manch Pointe geglückt und treffend und, quasi als Alibi, bekommt auch der eine oder andere Oppositionspolitiker etwas Spott ab, aber im Grunde genommen handelt es sich um eine einzige Anti-Prodi-Propaganda-Show. Die Show beginnt, wie es im italienischen Fernsehen üblich ist, mit einer Tanzdarbietung spärlich bekleideter Tänzerinnen, die den Titelsong der Sendung vortragen. Und darin kommt dann auch folgender Refrain vor:

Godi godi godi, che c’è Romano Prodi
Lui con la finanziaria
Ha già cambiato l’aria
Lui delle tasse è mago… e io pago!

Freude, Freude, Freude, da ist Romano Prodi
mit dem Haushalt 
hat er schon alles neu gemacht
Er zaubert mit den Steuern… und ich zahle!

Da sieht man wenigstens, dass sich die Fernsehsender unter der neuen Regierung wieder trauen, Satiresendungen zu produzieren... so was hätte es unter Berlusconi nicht gegeben.
In der Folge ist es nun schon so weit, dass die Zustimmung zur Regierung bröckelt, was jedoch auch dem teilweise unglücklichen Agieren seiner Protagonisten und der oftmaligen Uneinigkeit dieser sehr weitgefächerten (von Altkommunisten bis zu Christdemokraten) Koalition geschuldet ist.
Neben der Finanzpolitik hat sich diese Koalition aber auch eine allgemeine Modernisierung mittels einer breiten Reformoffensive auferlegt. Was dabei herauskommt, ist unklar. Bei Themen, wie der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, drischt ja nicht nur die Opposition auf der Regierung ein, sondern es meldet sich auch der Vatikan nebst seinem obersten bayrischen Vertreter zu Wort.
Ob die Regierung dieses Vorhaben durchbringen wird, ist noch nicht abzusehen, auch in der Koalition gibt es einige Zweifler.
Fast noch mehr als diesem Projekt wünsche ich der Regierung jedoch Durchhaltevermögen in der Tankstellenliberalisierung. Wenn es eine Sache gibt, die mir an Deutschland so im Nachhinein wirklich gefällt, dann sind es die Tankstellen. Sie haben 24 Stunden auf und beherbergen kleine Supermärkte, bei denen man im Notfall den Bedarf für ganze Parties bekommen kann. In Italien öffnen Tankstellen in der Regel morgens um 7, schließen um 12, öffnen wieder um 15 Uhr und schließen dann um 19 Uhr. Samstag entfällt die Nachmittagsschicht und Sonntag ist komplett zu. Das erfordert eine stressreiche Planung für Tankstopps, wenn das Benzin mal wieder zur Neige geht. Die Regierung plant nun die Freigabe der Öffnungszeiten, die Erlaubnis, auch nicht-autospezifische Produkte zu verkaufen und eine stärkere Konkurrenz durch die Errichtung von Tankstellen in großen Einkaufszentren. Sie verspricht sich dadurch eine Neuorganisation des Tankstellennetzes, besseren Service und niedrigere Kraftstoffpreise.
Die Tankstellenpächter kommen morgen zusammen, um sich für einen 48-stündigen Proteststreik abzustimmen. So taten es vorher schon die Taxifahrer, Apotheker, Anwälte und Notare, als es in diesen Branchen um Liberalisierungen ging. Die Regierung konnte sich jedoch zumindest teilweise durchsetzen.

Pisorno

Es ist 16:23 Uhr und wir haben La Spezia hinter uns gelassen. In Kürze erreicht der Zug Massa, dann Viareggio, Pisa und Livorno. Obwohl die letztgenannten Städte nur 20 km auseinanderliegen, sind sie sich spinnefeind. Für mich ist das ganze zwar etwas absurd, aber es hat ja doch einen gewissen Unterhaltungswert und deshalb berichte ich noch davon.
Rivalitäten unter Städten sind natürlich kein speziell italienisches Phänomen, auch Köln und Düsseldorf haben ihre Hassliebe in die Moderne gerettet. Dennoch ist die Problematik im Fall Pisa-Livorno besonders interessant. Immerhin handelt es sich hierbei, so habe ich es zumindest in meinen Forschungen herausgefunden, um die angeblich älteste und tiefste Städterivalität Italiens. Ob sie nun wirklich die älteste ist, kann man wohl anzweifeln, Livorno ist schließlich erst relativ spät zu Bedeutung gelangt. Die berühmteste Städtefeindschaft Italiens ist sie aber definitiv.
Kommen wir zum ersten der Knackpunkte. Die Pisaner betrachten die Livornesen als Emporkömmlinge, die jedoch ihre schlechten Manieren nie abgelegt haben. Die Pisaner schmerzt natürlich auch, dass sie nach der Versandung ihres Hafens (die Arnomündung hat sich mittlerweile 10km nach Westen verlagert) und einer verheerenden Niederlage gegen Genua, ihre Bedeutung als vorherrschende toskanische Macht bereits im Mittelalter an Florenz abgeben mussten. Die Florentiner wuchsen zu bedeutenden Feinden Pisas heran und haben schließlich Livorno zu ihrem wichtigsten Hafen gemacht. Dort gab und gibt es übrigens keine Versandungsprobleme.
So betrachten die Pisaner die Livornesen noch heute als ungezogene Ignoranten, die Livornesen werfen den Pisanern hingegen Hochmut und Dummheit vor. Während Pisa also irgendwann in die Bedeutungslosigkeit versank (was wäre es denn auch schon ohne den schiefen Turm?), wuchs Livorno zu einer bedeutenden Hafenstadt. Und wie es Hafenstädte oftmals so an sich haben, so hat eben auch Livorno seinen proletarischen Stempel. Hinzu kommt noch, dass Livorno ab dem 17. Jahrhundert eine sehr liberale und tolerante Einwanderungspolitik betrieb, noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Livorno eine der größten jüdischen Gemeinden Italiens.
Die Rivalität zwischen dem „aristokratischen“ Pisa und dem „proletarischen“ Livorno wird heutzutage vor allem durch das Überkritzeln von Straßenschildern (gerne werden nach Pisa oder Livorno führende Wegweiser beschmiert oder mit „merda“ ergänzt) und die Angriffe der satirischen livornesischen Zeitung „il Vernacoliere“ auf Pisa und seine Bewohner gepflegt. Während es früher allgemeine Sprüche waren („Lieber einen Toten im Haus als einen Pisaner vor der Tür“ oder „Die Worte werden vom Wind hinfort getragen, die Fahrräder von den Livornesen“), so schafft es der Vernacoliere immer wieder mit aktuellen Bezügen die Pisaner zu reizen. Nach Tschernobyl titelte er mit der Schlagzeile, dass der erste Effekt des radioaktiven Niederschlags die Geburt eines intelligenten Pisaners sei. Und als im September Italien UN-Truppen in den Libanon schickte, schlug man vor, doch pisanische Soldaten damit zu beauftragen. Die seien so hässlich, dass die Hizbollah-Kämpfer schreiend davonlaufen würden. Was für ein Pech für die Pisaner, dass sie dem nichts entgegensetzen können. Aber das wäre wohl auch unter ihrer Würde.
In den achtziger Jahren machte der Präsident eines pisanischen Fußballklubs den Vorschlag, den Streit zu beenden und einen gemeinsamen Fußballklub zu gründen. Als Namen für das Team schlug er vor: Pisorno. Es ist natürlich nichts daraus geworden.

Finale

Es ist 16:53 und zur linken Hand sehe ich den schiefen Turm von Pisa. In Kürze erreichen wir den Hauptbahnhof von Pisa. Nach einer kurzen Passage durch die pisornische (oder pisornesische?) Ebene werden wir in zirka 20 Minuten Livorno erreichen. Und damit möchte ich mich von Euch verabschieden.