domenica 10 marzo 2013

ci vuole fantasia


Un bel giorno nacque questa democrazia, che a farle i complimenti ci vuole fantasia.“

Und eines schönen Tages wurde diese Demokratie geboren. Um ihr Komplimente zu machen, braucht es Fantasie."


Giorgio Gaber

Cari amici, 

schon vor zehn Jahren, kurz vor seinem Tode, hat der Mailänder Liedermacher Giorgio Gaber dem weitverbreiteten Unbehagen über das politische System der italienischen Republik mit dem Lied “io non mi sento italiano“ (ich fühle mich nicht italienisch) ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Mi scusi Presidente 
ma questo nostro Stato
che voi rappresentate
mi sembra un po' sfasciato.
E' anche troppo chiaro
agli occhi della gente
che tutto è calcolato
e non funziona niente.
Sarà che gli italiani
per lunga tradizione
son troppo appassionati
di ogni discussione.
Persino in parlamento
c'è un'aria incandescente
si scannano su tutto
e poi non cambia niente.“ 

Verzeihung, Herr Präsident 
aber dieser unser Staat,
den Ihr repräsentiert,
scheint mir etwas zertrümmert.
Es liegt auch für
jedermann auf der Hand,
dass alles nur berechnet ist
und dabei nichts funktioniert.
Vielleicht sind die Italiener
aus langer Tradition
viel zu leidenschaftlich
bei jeder Diskussion dabei.
Selbst im Parlament
herrscht eine hitzige Atmosphäre,
sie zerfleischen sich wegen allem
und dann ändert sich nichts.“



Sicherlich habt ihr davon gelesen und gehört: vor zwei Wochen hat Italien gewählt. Mit großem Befremden habe ich die Reaktionen der deutschen Politik und die Berichte aus den deutschen Medien auf das Phänomen Beppe Grillo aufgenommen. Bei gewissen Berichten deutscher Korrespondenten in Italien frage ich mich immer öfter, ob die Autoren dieser Artikel wirklich in Italien sind. Ob sie wirklich aus dem gleichen Land berichten, in dem ich nun seit sechseinhalb Jahren lebe. Oftmals zeugen diese Berichte von einer Oberflächlichkeit und Unkenntnis, die wirklich erschütternd ist. Es gibt auch positive Ausnahmen, aber leider nicht viele. Vielleicht meinen die Korrespondenten, es wäre ausreichend, sich mit ausgewählten italienischen Journalisten und vermeintlich linken Politikern zu unterhalten, um die italienische Wirklichkeit zu verstehen und anschließend beurteilen zu können.
Ich seh das alles irgendwie anders. Und da ich Euer Mann vor Ort bin, lasse ich Euch nun auch wissen, wie ich die Sache sehe. Ich bin auch hochmütig genug, zu behaupten, ich könne viele Sachen besser verstehen als viele der Kollegen Korrespondenten. Immerhin lebe ich komplett im System Italien und berühre es nicht nur von außen. Das Wahlergebnis ist in meinen Augen eine einmalige Chance, viele Dinge in Italien zum Besseren zu ändern. 

La casta 

Im Jahre 2007 erschien in Italien ein Sachbuch, das ausführlich das von Korruption, Vetternwirtschaft und Ausplünderung durch die politische Klasse beherrschte System beschreibt. Der Titel des Buches, das sofort zu einem Bestseller avancierte, hat dieser politischen Klasse den wohlverdienten Namen gegeben: La casta – die Kaste.
Italien wird beherrscht von einer Kaste machtbesessener Politiker, die ihre einzige Aufgabe darin sehen, sich den einmal erkämpften Zugang zu Geld und Privilegien für möglichst lange zu sichern und sich während dieser Zeit die Taschen möglichst voll zu stopfen. Im Buch werden fortlaufend Beispiele genannt, aus denen zum Beispiel hervorgeht, dass Italien sich pro Kopf ungefähr doppelt so viele Abgeordnete leistet wie Deutschland und dass diese Abgeordnete dann auch in etwa das Doppelte ihrer deutschen Kollegen verdienen. Die Parteien, die dieses System beherrschen, haben dabei in den letzten Jahrzehnten jedes Maß verloren und ein landesweites System von Ämtern und Verwaltungen ausgebaut, dass vor allem dazu dient, möglichst viele Freunde und Verwandte verdienter Parteigenossen mit unnützen Posten zu versorgen. Grundsätzlich gilt den Parteien der Staat nicht als Instrument der Steuerung der öffentlichen Sache, sondern als Beute, die es maximal auszunutzen gilt.
So lange es in Italien wirtschaftlich gut lief, wurde dieses System noch toleriert. Doch mittlerweile leidet das Land unter einem seit Jahren anhaltenden langsamen Niedergang, der von den verantwortungslosen Politikern kaum wahrgenommen, geschweige denn bekämpft wird. Da aber Verschwendung, Korruption, Bürokratie und Vetternwirtschaft nicht eingedämmt werden, erhöht die Kaste in ihrer Ignoranz noch das bestehende Problem. Der italienische Kuchen wird eher kleiner und die Kaste will ein immer größeres Stück haben. Die Schulden- und Steuerlast, die auf Italien lastet, wächst auch deshalb immer weiter. Und mit jedem neuen Skandal, und davon habe ich ja selbst schon einige beschrieben, der so gut wie nie zu Konsequenzen in Form von Rücktritten oder gar Gesetzesänderungen führt, entfernt sich die Kaste zudem noch ein Stück weiter vom Wähler.
Rücktritte deutscher Politiker, wie zum Beispiel der von Christian Wulff, wurden von vielen Italienern mit Bewunderung aufgenommen. Bewunderung darüber, wie „wenig“ in Deutschland manchmal ausreicht, um zum Rücktritt gezwungen zu werden. Natürlich herrscht dann auf der italienischen Seite eine durchaus verklärte Sicht auf die deutsche Politik und Zivilgesellschaft vor. Aber diejenigen in Deutschland, die glauben, im Grunde sei doch in Deutschland die politische Situation nicht anders, kennen nicht die italienischen Dimensionen.
Im Italienischen gibt es eine Redewendung, wonach ein Seil irgendwann zerreißt, wenn man zu sehr daran zieht. Ähnlich wie der deutsche Geduldsfaden. Offenbar fehlt nicht mehr viel, dann wird das Seil reißen. Die Leute in Italien haben es satt, dass sie seit Jahrzehnten immer die gleichen Gesichter präsentiert bekommen, die nicht den kleinsten Finger rühren, um etwas für das Land zu tun, sondern nur Scheindebatten führen, die nicht die Probleme des Landes betreffen und dafür in einer Art und Weise abkassieren, die in der westlichen Welt ihresgleichen sucht. Während reihenweise Unternehmen schließen und die Arbeitslosigkeit ungebremst ansteigt, während die Industrieproduktion sinkt und die Steuerlast steigt, diskutiert die Politik Fragen, welche Rolle zukünftig der Staatspräsident spielen solle oder überlegt ernsthaft, dass man am besten noch eine vierte Berufungsinstanz einführen sollte. Das käme nämlich wiederum dem Teil der Kaste entgegen, der in strafrechtliche Schwierigkeiten geraten ist. 

Partito democratico 

In deutschen Medien wird dann der Anschein erweckt, dass an alledem ja nur der böse Berlusconi Schuld sei. Dem ist aber nicht so. Es gibt ein parteiübergreifendes, stillschweigendes Einverständnis darüber, dass sich möglichst nichts ändern soll. So ist zum Beispiel nie ein lange gefordertes Gesetz zum Interessenkonflikt verabschiedet worden. Auch dann nicht, als Mitte-Links an der Macht war. Der Grund ist ziemlich einfach. Ein solches Gesetz würde ja nicht nur Berlusconi treffen, sondern auch alle anderen Politiker, die gleichzeitig mehrere Positionen innehaben, deren Interessen sich widersprechen. Und dieses Problem ist tatsächlich nicht nur ein italienisches.
Die Rolle des Partito Democratico (PD, die „Demokratische Partei“, die in Deutschland gern als sozialdemokratisch bezeichnet wird) ist in diesem Zusammenhang extrem zweifelhaft. Auf der einen Seite präsentiert sie sich als Reformkraft, die gewillt ist, Italien zu modernisieren, zu demokratisieren und für soziale Gerechtigkeit einzutreten. Auf der anderen Seite tut sie nichts, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Und manchmal tut sie noch das genaue Gegenteil. Als Mitte-Links von 2006-2008 an der Macht war, wurden sogleich die Stellen in der Spitze des öffentlichen Rundfunks RAI mit ergebenen Leuten besetzt. Was Berlusconi einige Jahre vorher vorgeworfen wurde, wurde unter anderen Vorzeichen wiederholt. Eine Begründung dafür habe ich persönlich von einer PD-Aktivisten erhalten: „Das haben die anderen doch auch gemacht!“ Und genau nach dem Motto entsteht ein Wettbewerb nach unten. Negative Aspekte der Gegenseite werden nicht etwa präsentiert, um es besser zu machen und den Gegner alt aussehen zu lassen. Nein, sie werden als Begründung genutzt, um es genauso zu machen.
Und es zeigte sich auch gerade während der Mitte-Links-Regierung unter Prodi, wie wenig man sich um demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze kümmerte. Darüber habe ich bereits vor fünfeinhalb Jahren geschrieben (klick!). Ich erinnere: der Angriff auf Rechsstaat und Meinungsfreiheit kam damals aus den Reihen der (Vorgängerpartei der) PD.
Im Jahre 2005 hat die Mitte-Rechts-Koalition ein neues Wahlgesetz erlassen, dass von der Opposition aufs Schärfste kritisiert wurde. In Italien wird das Gesetz Porcellum genannt, weil sein eigener Verfasser, der Lega-Nord-Politiker Roberto Calderoli, es als porcata (Schweinerei) bezeichnet hatte. Durch dieses Wahlgesetz wurde festgelegt, dass 340 der 630 der Sitze im Unterhaus (Camera) an die siegreiche Koaltion gehen. Koalitionen bilden sich in Italien bereits vor den Wahlen und treten dann gemeinsam an.
Dank dieser Situation hat Mitte-Links im neuen Unterhaus die absolute Mehrheit, obwohl nur 29,5% der Wähler für diese Koalition gestimmt haben. Übrigens ist Italien bei dieser Wahl nur äußerst knapp an der Wiederauferstehung Berlusconis vorbeigeschrammt. Seine Koalition hatte immerhin 29,2% der Stimmen. Nur 125.000 Stimmen trennen die beiden Lager. Wäre die Vertreterin der deutschsprachigen Minderheit, die Südtiroler Volkspartei, wie bei den Wahlen 2008, neutral geblieben, hätte Berlusconi heute die Mehrheit in der Camera. Aber die SVP hatte sich im Vorfeld der Wahl der Mitte-Links-Koalition angeschlossen und knapp 147.000 Stimmen geholt.
Auf eine kompliziertere Art und Weise werden vom Wahlgesetz die Sitze im Oberhaus (Senato) verteilt: jede Region hat eine bestimmte Zahl von Sitzen. Und die relativ stärkste Koalition in einer Region bekommt die absolut meisten Sitze, die der Region zustehen. Daher hat die PD nur in der Camera eine Mehrheit, nicht aber im Senato.
Die merkwürdige „Mehrheitsprämie“ des Wahlgesetzes sollte für regierungsfähige Mehrheiten sorgen, sie ist aber nur ein Aspekt dieses Wahlgesetzes. Der andere Aspekt ist, dass das Wahlgesetz das Konzept „Wahlkreis“ praktisch abgeschafft hat. Die Abgeordneten werden von den Parteizentralen auf Listenverbindungen gesetzt, auf die die lokalen Parteiverbände und die Wähler keinen Einfluss mehr haben. Damit haben die Parteizentralen die Möglichkeit, unbequeme Kandidaten auszuschließen und die anderen zu disziplinieren. Für die Abgeordneten gibt es damit schließlich keine Motivation mehr, sich vor Ort blicken zu lassen und sich mit ihren Wählern zu beschäftigen.
Worauf ich hinaus will: das Gesetz hat die Kastenbildung noch verstärkt, führt zu zweifelhaften Zusammensetzungen des Parlaments und wurde heftig von Mitte-Links kritisiert, solange Lippenbekenntnisse ausreichten. In den Jahren der Prodi-Regierung 2006-2008 wurde dann kein Finger gerührt, um etwas zu ändern. Es war der Mitte-Links-Führung offensichtlich nur recht, dass sie die Posten nach Belieben verteilen konnte, ohne auf irgendwen und irgendwas Rücksicht nehmen zu müssen.
Und noch ein weiteres Beispiel: in vagen Andeutungen bekennt sich die PD schon seit längerer Zeit zum Abbau unnötiger Strukturen, welcher die Staatskasse entlasten könnte. So gibt es schon seit längerer Zeit den Vorschlag, die Provinzen aufzulösen und die Kompetenzen den übergeordneten Regionen und den untergeordneten Gemeinden zu übertragen, die das locker miterledigen könnten. Laut einigen Berechnungen, die wahrscheinlich übertrieben optimistisch sind, könnte man auf diese Art jährlich 17 Milliarden Euro einsparen. Im Juli 2011 brachte eine kleinere Oppositionspartei diesen Vorschlag auf die Tagesordnung und es bot sich die Mehrheit, eine entsprechende Regelung durchzubringen. Berlusconi war dagegen, konnte sich aber seiner eigenen Mehrheit nicht sicher sein. Wieder einmal zeigte die PD ihr wahres Kasten-Gesicht, enthielt sich der Stimme und sicherte so Berlusconis Regierung die Mehrheit. Grund: PDL (Berlusconis-Partei), Lega Nord und PD brauchen die Provinzen, um ihren Parteisoldaten gutbezahlte und arbeitsarme Ämter zu sichern.
Um es kurz zusammenzufassen: bloß weil sich die PD „demokratisch“ nennt, heißt das noch lange nichts. Es gab auch mal eine „Deutsche Demokratische Republik“, die ähnlich anmaßend mit diesem Attribut umging. Die PD ist eine Partei, die bisher regelmäßig alle Hoffnungen enttäuscht hat und ebenfalls regelmäßig in Korruptionsfälle verwickelt ist. Sie ist lediglich das kleinere Übel gegenüber Berlusconis Koalition. Beppe Grillo, zu dem ich gleich kommen werde, gesteht ihr vermulich nicht einmal das zu. In Anspielung auf Berlusconis PDL nennt er sie PDohneL. Meine Einschätzung ist, dass die PD am Ende alles das macht, was auch Berlusconis PDL macht, nur mit mehr Niveau und mit ein bisschen schlechtem Gewissen, weil sie mitunter an ihre idealistische Parteibasis denkt. 

Beppe Grillo Teil 1 

Aus den vielen Berichten, die nach der Wahl veröffentlich worden sind, kommt stark die Überraschung über das starke Abschneiden von Beppe Grillos neuer 5-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) zum Ausdruck. Dabei kommt der Erfolg Grillos überhaupt nicht überraschend. Die Verärgerung über das oben beschrieben politische System, dessen Protagonisten sich nur noch mit sich selbst und nicht mit den immer größeren Probleme des Landes beschäftigen, ist mittlerweile im Land so weit verbreitet, dass man schon blind oder taub sein muss, um das nicht wahrzunehmen. Daher auch meine Verwunderung über das Erstaunen unter den deutschen Journalisten.
Und genauso verwundert bin ich auch über das Abkanzeln Beppe Grillos als Clown, Schreihals und Populisten. Dabei gab es schon vor sieben Jahren Artikel in der deutschen Presse, die das Phänomen Beppe Grillo ohne Vorurteile beschrieben. Den entsprechenden Artikel habe ich in meinem ersten Artikel über Beppe Grillo (klick!) bereits verlinkt, gern tue ich es noch einmal: http://www.zeit.de/2006/04/Grillo
Beppe Grillo als Populisten zu bezeichnen, deutet daraufhin, dass man seine Kenntnisse vor allem aus den weitgehend gleichgeschalteten italienischen Medien bezieht, die sehr eng mit der politischen Kaste verflochten sind. Besonders die Politiker der PD und die mit ihr verbundenen Medien (La Repubblica und L'Espresso oder die entsprechenden RAI-Sendungen beispielsweise) haben es sich seit dem Auftreten Beppe Grillos zur Aufgabe gemacht, dessen Bewegung zu diskreditieren und ihr Populismus vorzuwerfen. Dabei hat Beppe Grillo sehr konkrete und wichtige Projekte, für die er sich eingesetzt hatte. Aber diese Projekte griffen eben die politische Kaste an.
Zweimal hat Beppe Grillo einen V-Day veranstaltet, eine in mehreren Städten gleichzeitig stattfindende Demonstration mit Unterschriftensammlung, um das Parlament zu zwingen, sich mit den Vorschlägen Grillos zu befassen. Wichtigster Teil der Vorschläge war 2007 die „Reinigung“ des Parlaments von rechtskräftig verurteilten Straftätern unter den Abgeordneten. Dies ist ein speziell italienisches Phänomen, was in keinem anderen europäischen Land denkbar ist. Zu einer Reihe endgültig Verurteilter kommt noch eine hohe Zahl an Abgeordneten, die bereits in ersten Instanzen verurteilt wurden, aber noch die letzte Berufungsinstanz abwarten. Die höchste Verurteiltenquote haben die Mitte- und Rechtsparteien UDC (mit der Professor Monti sich für die Wahlen zusammengetan hat) und Berlusconis PDL. Aber auch die PD ist davon nicht frei. Obwohl die nötige Unterschriftenzahl zusammenkam, hat sich das Parlament unter Missachtung der Rechtslage bis heute nicht mit den vorgebrachten Themen befasst.
Beim zweiten V-Day ging es um die Erzwingung von Volksabstimmungen mittels Unterschriftensammlungen. Ziel war die Aufhebung gesetzlicher Regelungen, die der Pressefreiheit in Italien entgegenstehen. Beispielsweise wollte Grillo die staatliche Zeitungsfinanzierung aufheben, um die Einflussnahme der Politik zu beenden. Ebenso wollte er die Journalistenkammer abschaffen. In Italien darf man als Journalist nur tätig werden, nachdem man eine staatliche Prüfung bestanden hat und in die Journalistenkammer (ähnlich einer Rechtsanwaltskammer) aufgenommen wurde. Dieses Instrument zur medienpolitischen Steuerung wurde in den dreißiger Jahren unter Mussolini eingeführt und existiert, einmalig in Europa, noch heute. Laut Grillo kamen 1,3 Millionen Unterschriften zusammen, 500.000 waren nötig, um das Referendum zu erzwingen. Das höchste italienische Gericht hat allerdings mehrere hunderttausende Unterschriften nicht anerkannt, womit das Vorhaben gescheitert ist.
Im Jahre 2009 hat Beppe Grillo schließlich das Movimento 5 Stelle gegründet, eine Art Bürgerbewegung, die sich zum Ziel setzt, bestimmte Projekte, wie die oben beschriebenen zu verwirklichen. Seit Anbeginn wird diese Bewegung von der italienischen Politik und den Medien entweder ignoriert oder pauschal verunglimpft. Wer mag, kann sich gern selbst ein Bild machen. M5S hat ein konkretes Programm, dass auch auf deutsch abgerufen werden kann: http://www.movimentocinquestelle.eu/documenti/programma-de.pdf
M5S sieht sich als eine Art Plattform, auf der Ideen von jedermann ausgetauscht und Vorschläge erarbeitet werden können. Das Internet ist dabei die Grundlage, die bisher ungekannte Möglichkeiten der Kommunikation und den Bürgern eine völlig neue Teilhabe an der Politik bietet.
Wer sich jetzt über den Erfolg des M5S wundert, hat anscheinend die ganzen letzten Jahre verschlafen, in denen sich die Bewegung Beppe Grillos entwickelt hat. Von Jahr zu Jahr hat Beppe Grillo bei seinen Auftritten Theater und Plätze gefüllt. Und ab 2010 hat M5S langsam aber stetig Wahlerfolge errungen. Bei einigen Kommunalwahlen im Mai 2011 schaffte das M5S den Einzug in mehrere Gemeinderäte. Seit Mai 2012 stellt das M5S beispielsweise mit Parma erstmals den Bürgermeister einer Großstadt. Und im Oktober 2012 wurde das M5S die stärkste politische Gruppierung bei den Regionalwahlen in Sizilien.
Nun sitzt das M5S also im italienischen Parlament und sorgt dort für frischen Wind. Bereits jetzt ist klar: unter den M5S-Abgeordneten gibt es niemanden, der Probleme mit der Justiz hat. Sie sind außerdem die jüngsten Abgeordneten und die mit dem höchsten Bildungsgrad.

Füllt die Plätze Italiens: vor zwei Jahren war ich bei Beppe Grillos Auftritt in Cento dabei

Beppe Grillo Teil 2 

Und nun werde ich Beppe Grillo von dem Thron holen, auf den ich ihn bisher durch meine Beschreibungen gesetzt habe. Denn kritisieren kann und muss man ihn schon, nur bitte mit Argumenten, nicht mit Schlagwörtern.
Meiner Meinung nach hat das M5S nur dann eine wirkliche Chance, wenn es es schafft, sich von seinem Übervater Beppe Grillo zu emanzipieren. Es ist klar, dass ohne Grillos Popularität und seinen jahrelangen Einsatz das M5S niemals entstanden wäre, geschweige denn den aktuellen Erfolg erreicht hätte.
Gerade eine Bewegung, die sich für eine umfassende Demokratisierung der italienischen Politik einsetzt, muss in dieser Hinsicht mehr als nur Vorbild sein. Und gerade hier zeigt sich, dass die Einflussnahme Grillos auf das M5S problematisch wird. Erstmals deutlich wurde das im März 2012, als der ferraresische Gemeinderat Valentino Tavolazzi, der vom M5S unterstützt wurde, von Beppe Grillo aus der Bewegung ausgeschlossen wurde. Begründet wurde das mit Versuchen Tavolazzis die „Bewegung“ umzuorganisieren, letztendlich wohl in Richtung „Partei“. Und da Grillo die Parteien abschaffen will, kann M5S niemals eine Partei sein. Offenbar stellte Tavolazzi auch Fragen zur Rolle Grillos im M5S der Zukunft.
Als der Ausschluss Tavolazzis von der Ortsgruppe Cento des M5S kritisch hinterfragt wurde, bekam diese Post von Grillos Anwalt. Ihr wurde das Recht entzogen, Namen und Symbol des M5S zu verwenden. Diese sind nämlich eine eingetragene Marke, die Beppe Grillo gehört. Und damit sind wir schon am Kern des Problems. Das M5S ist keine Partei, sie hat keine Mitglieder. Das M5S sieht sich als Plattform. Unter seinem M5S versammeln sich engagierte Bürger, um gemeinsam etwas zu erreichen. Und über allem wacht Beppe Grillo. Die auf dem Foto oben versammelten M5Sler aus Cento sind mittlerweilse nicht mehr Teil der Bewegung.
Und ebenfalls raus sind zwei bolognesische M5Sler, die sich im Herbst 2012 kritisch zur inneren Demokratie in der Bewegung geäußert haben. Grillo zeigt sich kompromisslos. Abweichler sieht er als potenziell zerstörerisch für die Bewegung und sein Projekt des vollkommenen Umbaus des politischen Systems an. Aktuell lehnt er daher auch jede Zusammenarbeit mit der PD in Form einer Regierungsbildung ab. Er meint, er möchte der PD nicht als verlängerter Arm beim Erhalt der Parteienherrschaft behilflich sein. 

Finale 

Und dennoch bin ich nach dem Wahlergebnis noch guter Hoffnung. Die neuen Verhältnisse zwingen sowohl M5S als auch PD dazu, Farbe zu bekennen. Es wird keine Ausflüchte mehr geben. Vorschläge des M5S, die auf positive Resonanz bei der PD-Anhängerschaft treffen, werden von der Parteiführung nicht mehr einfach abgewiesen werden können. Die PD wird sich nicht mehr hinter irgendwelchen Verhältnissen verstecken können, die ihr aus diesem oder jenem Grund Reformen unmöglich machen würden. Denn dies oder eine Zusammenarbeit mit der PDL würde sie endgültig unglaubwürdig machen und sie bei den nächsten Wahlen sehr teuer zu stehen kommen. Bereits die Unterstützung der Regierung Monti hätte die PD beinahe den knappen Wahlsieg gekostet. Denn auch Montis Bilanz ist kläglich. Reformen kamen so gut wie keine zustande. Dabei wollte er durchaus auch die Kaste einen Beitrag leisten lassen, kam damit aber natürlich nicht durch das Parlament. Lediglich mit Steuererhöhungen konnte Monti die Staatspleite abwenden.
Die derzeitige Situation scheint verfahren, weil keiner eine Regierung bilden kann. Das M5S sieht keine Vertrauensgrundlage, um mit der PD, die bis zum Wahltag gegen Grillo und das M5S gehetzt hat, eine Regierung zu stellen. Es wird sich jedoch nicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn es die Gelegenheit bekommt, einige seiner Forderungen umzusetzen. Denn das würde das Ende des Projekts M5S bedeuten. Wir werden sehen, ob alle Beteiligten genug Fantasie aufbringen, um eine tragbare Lösung zu finden, die Italien voranbringen wird.
Nach dieser ausführlichen Berichterstattung meinerseits melde ich mich wieder ab, wünsche Euch einen schönen Frühling und überlasse Euch wieder den von mir so kritisierten Journalisten der deutschen Medien. Was mich dabei so besonders erschüttert, ist, dass die Unkenntnis und Oberflächlichkeit schon so groß ist, wenn es sich um ein nahes und befreundetes Land wie Italien handelt. Ich frage mich in solchen Momenten, was ich von dem glauben soll, was uns über Länder wie Syrien, Iran oder Nordkorea erzählt wird.

Naja, das mit dem Frühling war wohl nichts.