domenica 21 gennaio 2007

in prima classe

Cari amici,
 
zuallererst ein frohes neues Jahr an Euch alle, vor allem jenen, denen ich es bisher noch nicht persönlich oder telefonisch wünschen konnte. Es ist Sonntag, der 21. Januar, 15:08 Uhr und ich sitze im Zug nach Livorno. Wieder einmal habe ich das Wochenende bei T. verbracht und dieses Mal habe ich nicht das Auto benutzt, sondern mir das Vergnügen gegönnt, in der ersten Klasse des ICplus der italienischen Staatsbahnen zu reisen.

Trenitalia

Trenitalia oder auch FS – ferrovie di stato ist der Name der staatlichen italienischen Eisenbahngesellschaft. Und wenn mal nicht Streik angesagt ist, dann bietet sie eine wunderbar günstige Möglichkeit, um Italien zu bereisen. Die Strecke Genua-Livorno (ca. 200km) kann man so für schlappe 9 Euro zurücklegen, wenn man sich mit 3,5 Stunden Fahrzeit und der Zweiten Klasse, eines Bummelzuges zufrieden gibt. Die Züge haben zwar einen etwas morbiden Charme, was allerdings auch dem nicht so geglückten Design der Bahngesellschaft geschuldet ist. Die Farbgebung besteht aus einem matten blau, einem matten giftgrün und einem immer schmutzigen weiß. Wenn man mal das Außendesign weglässt, so bieten die ICplus-Züge, besonders in der erwähnten ersten Klasse (in der ich mittels Bordsteckdose mein Laptop nutzen kann) jedoch ein komfortables und angenehmes Reisen. Und falls der Zug auch pünktlich sein sollte, bin ich in 2 Stunden in Livorno. Das Ticket hat mich übrigens 22 Euro gekostet. Bei den Preisen ist es wohl auch kein Wunder, dass Trenitalia jedes Jahr Milliardenverluste schreibt.
Mittlerweile ist es 15:21 Uhr und wir haben den ersten Halt in Rapallo. Dem geschichtsbewanderten Leser werden gleich einige Gedanken dazu im Kopf schwirren. Und um die dazugehörige Frage, die Euch alle bewegt, auch gleich zu beantworten: es gibt noch keine Neuigkeiten zu meiner Magisterarbeit.

Wetter

Während in Deutschland Orkane ganze Bahnhöfe einstürzen lassen, herrscht in Italien der wärmste Winter seit fast 150 Jahren, Freitag wurden in weiten Teilen des Landes Temperaturen von über 20 Grad gemessen. Auch wenn diese Extremmarke nicht alle Tage erreicht wird, so sind Tageshöchsttemperaturen von 15-17 Grad in Livorno diesen Winter die Regel. Hinzu kommt ein relativ trockenes Wetter, nur gelegentlich gibt es auch mal ein paar Regentage. Der Wechsel nach Italien hat sich also durchaus gelohnt.
Und das nicht nur wettertechnisch: Da ich im Herbst auch meine erste Gehaltserhöhung bekommen habe, sehe ich nun manche (kostspielige) italienische Besonderheit ein ganz klein wenig gelassener.

La Finanziaria

Der Haushalt, die die Regierung Prodi in den letzten Monaten auf den Weg gebracht hat, erhitzt jedoch noch immer die italienischen Gemüter. Obwohl die breite Masse von geringeren Einkommensteuern profitieren wird, hat es die Opposition geschafft, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass alles teurer, ungerechter und ineffizienter wird.
Ein Beispiel ist die Fernsehsendung „... e io pago!“, die Samstagabends auf Canale 5, einem der Berlusconi-Sender läuft. Zwar ist manch Pointe geglückt und treffend und, quasi als Alibi, bekommt auch der eine oder andere Oppositionspolitiker etwas Spott ab, aber im Grunde genommen handelt es sich um eine einzige Anti-Prodi-Propaganda-Show. Die Show beginnt, wie es im italienischen Fernsehen üblich ist, mit einer Tanzdarbietung spärlich bekleideter Tänzerinnen, die den Titelsong der Sendung vortragen. Und darin kommt dann auch folgender Refrain vor:

Godi godi godi, che c’è Romano Prodi
Lui con la finanziaria
Ha già cambiato l’aria
Lui delle tasse è mago… e io pago!

Freude, Freude, Freude, da ist Romano Prodi
mit dem Haushalt 
hat er schon alles neu gemacht
Er zaubert mit den Steuern… und ich zahle!

Da sieht man wenigstens, dass sich die Fernsehsender unter der neuen Regierung wieder trauen, Satiresendungen zu produzieren... so was hätte es unter Berlusconi nicht gegeben.
In der Folge ist es nun schon so weit, dass die Zustimmung zur Regierung bröckelt, was jedoch auch dem teilweise unglücklichen Agieren seiner Protagonisten und der oftmaligen Uneinigkeit dieser sehr weitgefächerten (von Altkommunisten bis zu Christdemokraten) Koalition geschuldet ist.
Neben der Finanzpolitik hat sich diese Koalition aber auch eine allgemeine Modernisierung mittels einer breiten Reformoffensive auferlegt. Was dabei herauskommt, ist unklar. Bei Themen, wie der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, drischt ja nicht nur die Opposition auf der Regierung ein, sondern es meldet sich auch der Vatikan nebst seinem obersten bayrischen Vertreter zu Wort.
Ob die Regierung dieses Vorhaben durchbringen wird, ist noch nicht abzusehen, auch in der Koalition gibt es einige Zweifler.
Fast noch mehr als diesem Projekt wünsche ich der Regierung jedoch Durchhaltevermögen in der Tankstellenliberalisierung. Wenn es eine Sache gibt, die mir an Deutschland so im Nachhinein wirklich gefällt, dann sind es die Tankstellen. Sie haben 24 Stunden auf und beherbergen kleine Supermärkte, bei denen man im Notfall den Bedarf für ganze Parties bekommen kann. In Italien öffnen Tankstellen in der Regel morgens um 7, schließen um 12, öffnen wieder um 15 Uhr und schließen dann um 19 Uhr. Samstag entfällt die Nachmittagsschicht und Sonntag ist komplett zu. Das erfordert eine stressreiche Planung für Tankstopps, wenn das Benzin mal wieder zur Neige geht. Die Regierung plant nun die Freigabe der Öffnungszeiten, die Erlaubnis, auch nicht-autospezifische Produkte zu verkaufen und eine stärkere Konkurrenz durch die Errichtung von Tankstellen in großen Einkaufszentren. Sie verspricht sich dadurch eine Neuorganisation des Tankstellennetzes, besseren Service und niedrigere Kraftstoffpreise.
Die Tankstellenpächter kommen morgen zusammen, um sich für einen 48-stündigen Proteststreik abzustimmen. So taten es vorher schon die Taxifahrer, Apotheker, Anwälte und Notare, als es in diesen Branchen um Liberalisierungen ging. Die Regierung konnte sich jedoch zumindest teilweise durchsetzen.

Pisorno

Es ist 16:23 Uhr und wir haben La Spezia hinter uns gelassen. In Kürze erreicht der Zug Massa, dann Viareggio, Pisa und Livorno. Obwohl die letztgenannten Städte nur 20 km auseinanderliegen, sind sie sich spinnefeind. Für mich ist das ganze zwar etwas absurd, aber es hat ja doch einen gewissen Unterhaltungswert und deshalb berichte ich noch davon.
Rivalitäten unter Städten sind natürlich kein speziell italienisches Phänomen, auch Köln und Düsseldorf haben ihre Hassliebe in die Moderne gerettet. Dennoch ist die Problematik im Fall Pisa-Livorno besonders interessant. Immerhin handelt es sich hierbei, so habe ich es zumindest in meinen Forschungen herausgefunden, um die angeblich älteste und tiefste Städterivalität Italiens. Ob sie nun wirklich die älteste ist, kann man wohl anzweifeln, Livorno ist schließlich erst relativ spät zu Bedeutung gelangt. Die berühmteste Städtefeindschaft Italiens ist sie aber definitiv.
Kommen wir zum ersten der Knackpunkte. Die Pisaner betrachten die Livornesen als Emporkömmlinge, die jedoch ihre schlechten Manieren nie abgelegt haben. Die Pisaner schmerzt natürlich auch, dass sie nach der Versandung ihres Hafens (die Arnomündung hat sich mittlerweile 10km nach Westen verlagert) und einer verheerenden Niederlage gegen Genua, ihre Bedeutung als vorherrschende toskanische Macht bereits im Mittelalter an Florenz abgeben mussten. Die Florentiner wuchsen zu bedeutenden Feinden Pisas heran und haben schließlich Livorno zu ihrem wichtigsten Hafen gemacht. Dort gab und gibt es übrigens keine Versandungsprobleme.
So betrachten die Pisaner die Livornesen noch heute als ungezogene Ignoranten, die Livornesen werfen den Pisanern hingegen Hochmut und Dummheit vor. Während Pisa also irgendwann in die Bedeutungslosigkeit versank (was wäre es denn auch schon ohne den schiefen Turm?), wuchs Livorno zu einer bedeutenden Hafenstadt. Und wie es Hafenstädte oftmals so an sich haben, so hat eben auch Livorno seinen proletarischen Stempel. Hinzu kommt noch, dass Livorno ab dem 17. Jahrhundert eine sehr liberale und tolerante Einwanderungspolitik betrieb, noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Livorno eine der größten jüdischen Gemeinden Italiens.
Die Rivalität zwischen dem „aristokratischen“ Pisa und dem „proletarischen“ Livorno wird heutzutage vor allem durch das Überkritzeln von Straßenschildern (gerne werden nach Pisa oder Livorno führende Wegweiser beschmiert oder mit „merda“ ergänzt) und die Angriffe der satirischen livornesischen Zeitung „il Vernacoliere“ auf Pisa und seine Bewohner gepflegt. Während es früher allgemeine Sprüche waren („Lieber einen Toten im Haus als einen Pisaner vor der Tür“ oder „Die Worte werden vom Wind hinfort getragen, die Fahrräder von den Livornesen“), so schafft es der Vernacoliere immer wieder mit aktuellen Bezügen die Pisaner zu reizen. Nach Tschernobyl titelte er mit der Schlagzeile, dass der erste Effekt des radioaktiven Niederschlags die Geburt eines intelligenten Pisaners sei. Und als im September Italien UN-Truppen in den Libanon schickte, schlug man vor, doch pisanische Soldaten damit zu beauftragen. Die seien so hässlich, dass die Hizbollah-Kämpfer schreiend davonlaufen würden. Was für ein Pech für die Pisaner, dass sie dem nichts entgegensetzen können. Aber das wäre wohl auch unter ihrer Würde.
In den achtziger Jahren machte der Präsident eines pisanischen Fußballklubs den Vorschlag, den Streit zu beenden und einen gemeinsamen Fußballklub zu gründen. Als Namen für das Team schlug er vor: Pisorno. Es ist natürlich nichts daraus geworden.

Finale

Es ist 16:53 und zur linken Hand sehe ich den schiefen Turm von Pisa. In Kürze erreichen wir den Hauptbahnhof von Pisa. Nach einer kurzen Passage durch die pisornische (oder pisornesische?) Ebene werden wir in zirka 20 Minuten Livorno erreichen. Und damit möchte ich mich von Euch verabschieden.