mercoledì 5 maggio 2004

ma sto scherzando!

Cari amici,
 
es ist wieder ein Monat vergangen und somit an der Zeit, etwas von mir hören zu lassen. Diese Mail schreibe ich Euch unter dem Eindruck von einer Woche Dauerregen, also bitte nicht wundern. Damit habe ich das Thema „Wetter“ auch erst einmal abgehakt und wende mich der hiesigen Bevölkerung zu.

Die Italiener

Montag nachmittags stieg ich, nach dem ich einige Einkäufe erledigt habe, die Treppen eines höher gelegenen Stadtteils hinab und rutschte dabei auf den glitschigen Stufen (Dauerregen!) aus und fiel hin, glücklicherweise ohne mir wirklich weh zu tun. Trotzdem wollte ich mich von T. trösten lassen und rief ihn an, als ich zu Hause ankam. Folgendermaßen war seine Reaktion: „Du hast doch nicht etwa eine brutta figura gemacht? Hat Dich irgendwer gesehen, der Dich kennt?“ Brutta figura heißt hässliche Figur, meint also, einen schlechten Eindruck abgeben. Ich hab mich natürlich gleich bei ihm beschwert über so viel Taktlosigkeit, aber er sagte dann nur: „Ma sto scherzando!“ (Ich scherze doch nur).

Einen guten Eindruck zu hinterlassen hingegen, ist für die Italiener sehr wichtig. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass die Italiener im Schnitt besser gekleidet sind und einen gepflegteren Eindruck machen. Aber das ist nur eine generelle Tendenz. Es gibt auch hier ungepflegte und schlecht gekleidete Menschen, die nicht ausnahmslos deutsche Touristen sind, wie T. mir glauben machen will. Negativ macht sich das fare una bella figura allerdings auch bemerkbar. Meine Theorie ist, dass die italienischen Supermarktketten darauf auch ihre hohen Preise gründen können, denn wer bei Lidl oder Penny einkauft, macht garantiert keine bella figura. Und wenn einem hier etwas zu teuer erscheint, dann wird das trotzdem bezahlt, hinterher sind der Euro, die Regierung, die bösen Konzerne, der Süden, der Norden oder die Hauptstadt Rom daran schuld, dass man kein Geld mehr hat. Es scheint, dass es kein sehr hohes Verbraucherbewusstsein gibt. In einer Autozeitung wurde darüber geschrieben, dass die Verbraucherschutzverbände von den Versicherungen Beitragssenkungen fordern. Autoversicherungen sind in Italien 2-3 mal so teuer wie bei uns. Vielleicht liegt das auch an der Fahrweise der italienischen Autofahrer oder einfach der unfallträchtigeren Geografie Italiens, möglicherweise aber auch daran, dass es in Deutschland nicht den motorini-Faktor gibt? Die Autozeitung jedenfalls kam zu dem Schluss, dass die Autofahrer öfter zu günstigeren Versicherungen wechseln sollten anstatt nur rumzujammern. Aber vielleicht macht man damit keine bella figura? Oder die Italiener verbringen ihre Zeit mit anderen Dingen, z. B. den Staat übers Ohr zu hauen, der sich wirklich wie ein Krake überall Abgaben und Gebühren holen will. Jüngstes Beispiel, T. musste 12,09 Euro Abiturgebühr bezahlen.

Aber nicht nur der Staat und die Wirtschaft saugen den armen Italiener aus, meist sind es auch die eigenen Kinder, die wirklich bis Ende 20, Anfang 30 bei den Eltern leben. Die Begründung, die ich mehrfach gehört habe, lautet, dass es doch so bequem ist, wenn für Dich gewaschen, geputzt, aufgeräumt und gekocht wird. Es ist doch viel schöner, sein Geld (also ausschließlich das der Eltern) für Vergnügungen auszugeben. Der Wunsch nach Freiheit taucht nur bei einzelnen Studenten auf, die mal ein Erasmusjahr gemacht haben. Oft sind es aber auch die Eltern, die ihre Kinder partout nicht weggehen lassen wollen, in Italien herrscht eben ein grundlegend anderes Familienverständnis als bei uns. Die so innige Beziehung zur eigenen Sippe wird durch eine riesige Ignoranz gegenüber dem Gemeinwesen und den Fremden ausgeglichen.

In Gesprächen mit Italienern bin ich meist jedoch sehr zurückhaltend und behalte für mich, was ich so alles denke. Letztens ging es wieder um das Unisystem. Wie schon berichtet, schreiben italienische Geschichtsstudenten fast ausschließlich Klausuren, für die sie Bücher auswendig lernen müssen, in Deutschland lernen die Studenten argumentieren und schreiben dann Hausarbeiten. Italienern gegenüber sage ich dann immer, dass ein Mix aus beiden Elementen ideal wäre, das denke ich auch wirklich. Im Zweifelsfall würde ich das deutsche System jedoch vorziehen, aber das behalte ich dann immer für mich. Nur T. und F., ein Freund, den ich im Februar in Neapel besucht habe und der Ostern bei mir war, müssen sich gelegentlich meine Ausbrüche anhören. Seit neuestem kann ich dann auch Obelix zitieren, kam nämlich neulich im Fernsehen: sono pazzi, i romani (oder halt gli italiani). Wenn das mit der italienischen Küche so weitergeht, sehe ich auch bald so aus wie er. Damit habe ich auch mal wieder was positives gesagt...

Auf der anderen Seite ist es ja auch immer wieder schön zu hören, wie klischeehaft die Italiener über die Deutschen denken. T.'s Mutter meinte neulich, deutsch sei eine gute Sprache, um mit Hunden zu reden, wegen der kurzen, harten Laute (sitz! Platz!). Zweifelsohne ist italienisch die schönere Sprache, aber wir reden doch nicht alle wie die Nazis in den italienischen Filmen. Wenn Italiener dann ihre Naziwitze machen, hängen sie meist jedoch ihr übliches „ma sto scherzando!“ an, um zu signalisieren, dass das witzig war. Ein Sinn für Ironie hat sich hier nicht entwickelt, will man sie anwenden, muss man sehr vorsichtig vorgehen. Ich bin da schon in einige Fettnäpfe getreten.

Wie ich es schon in den letzten Mails geschrieben habe, bei schlechtem Wetter ist es hier auch nicht schön. Wenn ich dann aber den aktuellen Hit „in una notte d’estate“ von Le Vibrazioni höre, träume ich immer, wie schön es sein muss in Italien. Dann ist das Lied aber vorbei, ich wache auf und denke: Scheiße, ich bin ja schon da!!

Ma sto scherzando!

Neuigkeiten

Seit meiner letzten Mail ist wieder einiges passiert. Ich habe den Umzug in meine neue Wohnung gemacht und bin darüber sehr zufrieden. Das neue Zimmer ist zwar mehr ein Loch, aber K. als Mitbewohnerin ist sehr angenehm, auch wenn sie mich immer zum Essen drängen will. Sie ist der italienischen Küche wirklich verfallen. Die beiden anderen Mitbewohner, 2 Turiner, 28 Jahre alt, sehe ich nur unter der Woche, übers Wochenende fahren sie meist nach Hause.

Die neue Wohnung hat einen wirklich wahren Vorteil, sie ist sehr zentral gelegen, was mir ermöglicht, viele Wege zu Fuß zu erledigen. Dadurch bin ich auch nicht mehr auf die schrecklichen Busse angewiesen. Und wenn ich abends mal weggehe, erspare ich mir die Parkplatzsuche, da ich das Auto stehen lassen kann. Ich habe auch keine neuen Strafzettel mehr bekommen. Da ich jetzt jedoch in einer Gegend lebe, wo nur Anwohner ihre Autos parken dürfen, musste auch ich mir eine Erlaubnis holen. Und wieder ein großes Lob an die genuesische Bürokratie, ich musste nur ein Formular ausfüllen, behaupten, dass ich hier wohne, 20 Euro Gebühren entrichten und schon hatte ich die Erlaubnis.

Ansonsten sind die ersten Besucher hier eingetroffen. S. aus Berlin war schon im März da und hat noch eine Ahnung vom Winter mitbekommen, schien aber dennoch von Genua angetan. Es ist ja auch eine wirklich sehr schöne Stadt, ich hänge heute doch noch einige Fotos an. F. aus Neapel war über Ostern da und musste mich ertragen, wie ich nur über das Land gemeckert habe. Mein Heuschnupfen hatte meine Stimmung halt nicht verbessert, aber dafür können die Italiener ja nichts. Obwohl, wer weiß...?

Und dann waren vor knapp 2 Wochen meine Eltern da, die wirklich beeindruckt und begeistert waren. Zum Urlaub machen ist es auch wirklich wunderschön hier, also verpasst es nicht! Vor allem haben mir meine Eltern mein Fahrrad mitgebracht, mit dem ich auch schon eine kleine Runde gedreht habe. Da meine neue Wohnung auch nicht so sehr auf dem Berg liegt, wie die alte, wird das Radfahren deutlich vereinfacht. Am kommenden Wochenende startet hier in Genua der Giro d’Italia und da könnte ich ja einfach mitmachen...

Eine weitere Neuigkeit ist, dass ich mich jetzt auf Arbeitssuche machen werde, dann kann ich meinen Aufenthalt hier möglicherweise noch in den Juli ausdehnen. Das war jetzt noch ein Wink mit dem Zaunpfahl an Euch.

Schöne Grüße! Daniel

PS: Foto1 zeigt einen Überblick über die Altstadt, um es zu machen, bin ich mit meinem charmantesten Lächeln in einer Finanzberatungskanzlei in einem Genueser Hochhaus vorstellig geworden. Foto2 zeigt den Porto Antico (den neu aufgemachten alten Hafen) am Abend und Foto3 zeigt das Haus von Kolumbus und das westliche Stadttor, die Porta Soprana.




lunedì 29 marzo 2004

maledetta primavera

Cari amici,
 
zum Frühlingsbeginn melde ich mich hiermit wieder aus Genua. Und ich hab auch einiges zu erzählen. Wie es schon fast Tradition ist, fange ich auch diese Mail mit dem Wetterbericht an.

Wetter

Was habe ich in der letzten Mail noch geschwärmt, der Frühling wäre bereits Mitte Februar hier ausgebrochen. Ich wurde eines besseren belehrt. Ende Februar lag Schnee auf meinem Auto. Ich muss zwar einräumen, dass der Winter hier vergleichsweise mild ist, aber es ist ziemlich nervig, seit Mitte Oktober fast immer das gleiche Wetter zu haben. Immer so zwischen 8-12 Grad. Manchmal gibt es Ausschläge nach oben oder unten, vor kurzem gab es hier sogar 3 Tage mit über 20 Grad, aber ich bin langsam dabei, jegliche Hoffnung aufzugeben, dass es noch mal besser wird. Vor einer Woche war ich in Monaco und da gab es wieder einen kurzen Hoffnungsschimmer, 20 Grad und Sonne. Aber die Rückfahrt führte uns, T. und ein paar Erasmus-Freunde waren auch dabei, wieder ins bewölkte Ligurien. T. meinte, dass auch in Ligurien fast immer Sonnenschein sei, aber seit ich da bin, nicht mehr. Ich hätte wohl das deutsche Wetter mitgebracht.

Na was soll’s, dafür ist er schließlich meine Sonne.

Die Nachrichten aus anderen Teilen Italiens und Europas beruhigen mich immerhin, dass nicht nur ich unter dem anhaltenden Winter leiden muss.

Es liegt wohl vor allem am Winter, dass nach einer Weile der Zauber dieses Landes verloren geht. Zumindest ist es dass, was ich hoffe. Wie auch Berlin im Winter nur grau wirkt, so ist auch Italien in der hässlichen Jahreszeit, la brutta stagione, kein Paradies. Und die kleinen Details im alltäglichen Leben, die einem als Deutschen, um es höflich auszudrücken, ungewöhnlich erscheinen, erstärken sich in der Winterperiode noch und hinterlassen einem eine zunehmend zwiespältige Meinung von diesem, trotz allem, sehr schönen Land. Zumindest häuft es sich, dass wir deutschen Erasmus-Studenten ins Lästern kommen. Es reicht dann meist aber auch, wenn dann doch mal wieder die Sonne rauskommt, dass man sich ins Auto setzt, dass man sonnenbebrillt und mit geöffnetem Schiebedach die Küstenstraße entlang fährt und alles ist wieder gut. Daher möchte ich die kleinen Gemeinheiten, die wir so über Italien austauschen, hier nicht erwähnen.

Politik

Es reicht ja, wiederzugeben, was mir T., schier unglaubliches, von der italienischen Politik erzählt hat. Diesmal geht es um die Regierung, die hier von rechten Parteien gestellt wird. Wobei das eigentlich ungenau ist, denn kann man eine Partei, die nur aus Berlusconi, seinen Anwälten und einigen verblödeten Anhängern besteht, als rechts oder links bezeichnen?

Da Berlusconi alle seine Gegner (= Nicht-Anhänger), als Kommunisten bezeichnet (er wird z.B. von kommunistischen Richtern verfolgt und von kommunistischen Journalisten verleumdet), hat sich diese Einordnung wohl durchgesetzt. Wie wir alle wissen, macht er nur bei Deutschen eine Ausnahme, die sind dann keine Kommunisten, sondern KZ-Aufseher.

Gewählt wurde er wohl, weil sich viele Italiener gedacht haben, der ist schnell reich geworden, vielleicht weiß er, dem Land zu helfen. Und wahrscheinlich auch, weil er 3 gut gehende Fernsehsender besitzt, die nicht gerade durch Unparteiischkeit glänzen. Durch welche illegalen Machenschaften er zum reichsten Mann Italiens wurde, haben dabei offenbar nur die wenigsten gefragt. Jetzt werden jedenfalls alle Gesetze, die Berlusconi einer illegalen Handlung bezichtigen, einfach geändert. Und da erschließt sich dann auch, der Sinn und Zweck, weswegen er in die Politik gegangen ist. Es geht also nicht um rechte oder linke Politik. Darum kümmern sich seine Koalitionspartner.

Fangen wir mit Umberto Bossis Lega Nord an. Da sich die staatliche Loslösung des reichen Nordens vom armen Süden erst einmal nicht durchsetzen lässt, fordert sie nur noch die Verlegung der Hauptstadt von Rom nach Mailand und eine föderalistische Neuordnung des Landes. Vielleicht ist diese Idee gar nicht mal so unvernünftig, aber da Bossi seine Auftritte gern mit Beschimpfungen Richtung Süden (terroni = Erdfresser, ladroni = Räuber) garniert, nimmt ihn in der Elite wohl kaum einer ernst. Und Berlusconi lässt ihn agieren, so lange er ihm nicht dazwischen pfuscht. Vor 10 Jahren haben Bossi und Berlusconi schon einmal koaliert, das ging schnell in die Brüche. Damals haben sie sich gegenseitig geschworen, nie mehr miteinander zusammenzuarbeiten, aber das ist alles vergessen. T. hat mir erzählt, dass Berlusconi der Lega Nord vor einigen Jahren eine 7stellige (in Euro) Spende hat zukommen lassen, mit der Option, das Geld zurückfordern zu können. Dies würde für die Lega heute die Pleite bedeuten. Daher streitet sich Bossi auch nur noch mit dem anderen Koalitionspartner, der Alleanza Nazionale.

Diese gilt als Nachfolgepartei von Mussolinis Faschisten, hat sich aber auf den Weg in Richtung Mitte gemacht. Ihr Vorsitzender, Gianfranco Fini, kommt sehr staatsmännisch daher und forderte vor einiger Zeit die Einführung des Ausländerwahlrechts bei Kommunalwahlen. Damit hat er Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce, aus seiner Partei getrieben und die Lega gegen sich aufgebracht. Denn die Ausländer wohnen vor allem im Norden und würden bestimmt nicht die extremistische Lega wählen.

Da T.'s Mutter bei den Democratici di Sinistra arbeitet, hören bei der Opposition seine Erzählungen auf. Das musste ich mir selbst aneignen. Die berechtigten Warnungen, dass die italienische Demokratie in Gefahr sei, wenn Berlusconi seine Macht ausbauen will, sind das eine, aber die Polemik im politischen Alltag ist halt das übliche Parteiengezänk, wie auch in Deutschland.
Und Freitag gab es einen Generalstreik, von den Gewerkschaften initiiert, um gegen die Rentenreformen zu protestieren. Die neuen, unmenschlichen Regelungen werden bedeuten, dass einige erst mit 65 in Rente gehen können. Das Problem der niedrigen Geburtenrate und der Überalterung der Gesellschaft, ist in Italien noch etwas größer als in Deutschland. Wer mal mit mir Bus fährt in Genua, wird das schnell merken. Wenn ein gebrechlicher, alter Mensch in den Bus kommt, steht keiner auf und macht einen Platz frei. Die Plätze sind schon von gebrechlichen, alten Menschen besetzt.


Universität

Eigentlich könnte ich an dieser Stelle fortsetzen, ein bisschen über Genua zu erzählen, aber das kann man wohl im Reiseführer besser nachlesen, wenn man auf dem Weg hierher ist. Da Anfang März die Uni wieder angefangen hat und ich mir auch fest vorgenommen habe, jetzt richtig loszulegen, werde ich lieber berichten, wie das hier an der Uni so vor sich geht.

Ich besuche 3 Kurse, jeweils 3mal in der Woche. Das heißt, ich bin 18 Stunden in der Woche in der Uni, um mir die Vorlesungen der Professoren anzuhören. Italienische Geschichtskurse sind nicht mit deutschen Seminaren zu vergleichen, ich hoffe aber dennoch, dass meine hiesigen Leistungen in Potsdam anerkannt werden. Generell läuft ein Kurs so, dass der Professor vorliest und die Studenten mitschreiben. So ähnlich wie in deutschen Vorlesungen. Die Studenten hier notieren sich das Gesagte aber nicht stichpunktartig, sondern fast Wort für Wort. Dann machen sie aber nach einer Weile mal 5 Minuten Pause und schreiben nicht mehr mit, obwohl es mir nicht so scheint, als ob jetzt weniger Wichtiges gesagt würde. Da zu jedem Kurs am Ende Klausuren geschrieben werden und dafür mehrere Bücher auswendig gelernt werden müssen, verstehe ich auch nicht so recht, warum man dann alles noch mitschreiben muss. Vermutlich nur um einen Eindruck zu gewinnen, worauf der Professor besonderen Wert legt. In meinem „Geschichte Osteuropas“-Kurs wäre dies die gesamte Geschichte aller Länder jenseits des eisernen Vorhangs seit Ende des römischen Reiches.

Dieser Kurs ist ein Extrembeispiel, in meinen anderen beiden Kursen ist es nicht so arg. Das Grundprinzip ist zwar das gleiche, aber im Etruskologie-Kurs geht es etwas lockerer zu. Der Professor, mir stellte er sich als M. vor, ist überhaupt eine angenehme Erscheinung im vergleichsweise strikt-disziplinierten Ligurien. Er kommt aus Neapel. Und so erklärte er den Studenten hier in einem Nebensatz, dass die Bezeichnung Ligurien von den Etruskern stammt. Als Ligurier wurden alle unverständlichen Fremden bezeichnet. Die Griechen hatten dafür den Begriff Barbaren. Und das sagte er mit so einem schelmisch-sympathischen Grinsen.

Ansonsten besuche ich noch einen Kurs zur Geschichte der Vereinigten Staaten, der meist sehr interessant ist. Leider ist es jedoch dort etwas ermüdend dort 2 Stunden ruhig zu sitzen und konzentriert zuzuhören. Normalerweise sind 90 Minuten vorgesehen.

Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich in all den Kursen alles verstehe, aber ich bin doch zufrieden, im Großen und Ganzen folgen zu können. Im Etruskologie-Kurs fällt mir das etwas schwerer, weil ich da kein Vorwissen habe, aber es geht trotzdem einigermaßen. Wenn ich dann am Ende des Semesters die Bücher lerne, werde ich hoffentlich durch die Klausuren kommen. Vielleicht schreibe ich aber auch Hausarbeiten, das muss ich jetzt mit Potsdam abklären. Im Osteuropa-Kurs und bei M., wo ich jeweils einen Schein machen will, habe ich da schon mal vorgefühlt, bei beiden könnte ich sogar auf deutsch schreiben!


Neuigkeiten

Nun komme ich gleich zum Ende, aber es gibt eine wesentliche Neuigkeit. Am Mittwoch ziehe ich um, aus 2 Gründen. Erstens haben sich die Wasserprobleme in der jetzigen Wohnung gehäuft, zweitens spare ich im neuen Zimmer 80 € pro Monat.

Ich ziehe bei K. ein, wo noch ein kleines, weniger schönes, aber halt billiges, Zimmer frei ist. Besucher sind trotzdem jederzeit willkommen.

Vor 1,5 Wochen waren wir in unserer WG 3 Tage ohne Wasser. Die Vermieterin hatte die Wasserzufuhr einfach abgestellt, weil in unserem Haus jeder Haushalt einen großen Tank hat, einige Haushalte zu wenig Wasser verbraucht haben und deren Tanks übergelaufen sind. Dadurch blieben 3 oder 4 Haushalte, darunter unserer, völlig ohne Wasser. Unser täglicher Wasservorrat von 400 Litern war so schon oft aufgebraucht, da war es natürlich kein Wunder, dass wir schnell im Trockenen standen. Als dann K. den Vorschlag machte, ich könnte vielleicht bei Ihr einziehen, habe ich Druck gemacht, damit wir das so schnell wie möglich hinbekommen. Meine Vermieterin war natürlich nicht begeistert, aber da wir keinen Vertrag haben, kann sie nicht viel machen. Ich muss nur sehen, dass ich morgen meine volle Kaution kriege.

Meine neue Adresse werde ich hier nicht veröffentlichen, da ich keine Post empfangen will. K. hat zum Nikolaus und zum Valentinstag jeweils ein Paket erwartet. Das erste ist noch immer unterwegs, das zweite als unzustellbar wieder in Deutschland angekommen. Das ist übrigens eines der Beispiele, womit Italien-Lästereien anfangen können.

Viel Spaß und einen schönen Frühling!
Daniel

PS: 2 Fotos sind angehängt: Foto 1 zeigt Schnee in Genua, allerdings blieb er nur kurze Zeit auf den Autos in den oberen Stadtteilen liegen. Foto 2 zeigt Monaco, davor: A., Erasmus-Student aus Südtirol. Er hat die italienische Staatsbürgerschaft, studiert in Salzburg und macht Erasmus, um italienisch zu lernen. Daneben V. aus Frankfurt/M., K. aus Halle, ich und T.



lunedì 16 febbraio 2004

primavera genovese

Cari amici,
 
mit meinem neuesten Bericht aus Genua läute auch ich endlich das neue Jahr ein. Und somit wünsche ich Euch allen auf diesem Wege ein buon anno und die besten auguri für eben dieses.

Frühling

Nach den endlosen Wochen in der Eiseskälte der westsibirischen Metropole Berlin, konnte ich Mitte Januar meinen Eiskratzer in die Rumpelkammer legen und mich auf den Weg in meine geliebte, italienische Heimat machen. Das besondere an Genua ist seine geographische Lage, eingezwängt zwischen Meer und Gebirge, was dem schmalen Küstenstreifen namens Ligurien ein ganz besonderes Klima beschert. Während ich in meiner letzten Mail noch den Dauerregen beklagte, bin ich nun voll des Lobes. Die tiefste Temperatur, die mein Thermometer (es speichert die Extremwerte) im Winter gemessen hat, war 3°, plus! Noch schöner als der milde Winter ist jedoch die Ankunft des Frühlings. Mein Heuschnupfen ist dafür immer ein zuverlässiger Gradmesser und er meldet sich bereits. Auch die Heizprobleme scheinen beseitigt, bis vor einigen Wochen waren es meist 18-19°, jetzt sind es immer wohlige 21° in meinem Zimmer. Dafür haben wir neuerdings Probleme mit dem Wasser, es ist öfter mal keins da. Irgendein Problem scheint es immer zu geben, spontan fallen mir auch noch streikende Busfahrer oder kaputte Telefonzellen ein. Nicht ein paar Einzelne, nein, das hat System. Gut, dass Ligurien vom Wintereinbruch vor ungefähr 2 Wochen weitgehend verschont blieb. Im Fernsehen wurde ausführlich über das Schneechaos berichtet, dass bis Apulien, sozusagen dem Hacken am italienischen Stiefel, reichte. In der Berichterstattung taten sich vor allem die Mediaset-Sender, die berlusconischen TV-Stationen, hervor. Die füllen die Nachrichten gern mit unpolitischen Themen. Der Tod von Marco Pantani ist gerade auch wieder eine gute Gelegenheit, sich nicht so sehr mit z.B. der Vertrauensfrage zu beschäftigen, die Berlusconi aktuell mit einem Gesetz über Fernsehwerbung bei RAI 3 verbindet. Ich hoffe, ich hab das richtig verstanden...

Jedenfalls konnte ich somit sowohl das schneebedeckte Rom als auch Florenz im Fernsehen sehen. Zwei Tage vorher habe ich einen Ausflug nach Pisa und Lucca gemacht, da gab es keinen Schnee, aber ich habe gemerkt, dass 2-3° auch in der Toskan a sehr kalt sind.

Illegal?


Lucca ist wirklich eine hübsche, kleine Stadt. Sollte man mal gesehen haben. Und als besonderes Andenken habe ich dort meinen zweiten Strafzettel bekommen. Dabei war mir nicht mal klar, dass ich das Auto regelwidrig geparkt hatte. Mit dem dritten Strafzettel, den ich an der Bushaltestelle vor meinem Haus vor einer Woche bekommen habe, hatte ich schon lange gerechnet. Kostenpunkt 68,25€. Selbst Strafzettel kosten in Italien ein Vielfaches. Wenn man sie denn bezahlt.

Da wir in unserer WG alle Ausländer sind, sammeln wir unsere kleinen Sünden am Kühlschrank und haben einen kleinen Wettbewerb ausgemacht. Wer im Sommer am wenigsten multe kassiert hat, gibt eine Flasche Wein aus. Als Autofahrer ist man natürlich im Vorteil, aber E., einer meiner, mittlerweile zwei, albanischen Mitbewohner, hat sich auch schon zweimal beim Schwarzfahren erwischen lassen. Merkwürdigerweise wurde ich noch nie kontrolliert, deshalb habe ich das Fahrscheinkaufen mittlerweile auch aufgegeben. Selbst, wenn ich die Strafen bezahlen müsste, ich habe mittlerweile Geld für mehr als zwei Strafen eingespart. Na ja, und meine Unzufriedenheit mit dem hiesigen Nahverkehr habe ich ja bereits geschildert.

Trotz all dieser Dinge, dem Schwarzfahren, dem Knöllchen-Ignorieren und auch dem Schwarzwohnen, kam E. neulich von einem Gespräch mit unserer Vermieterin und erklärte, dass wir das abonnamento der RAI, die Rundfunkgebühren, ca. 100 €, bezahlen müssten. Die Reaktion von N. und mir war ziemlich einhellig, für DIESES Fernsehen bezahlen wir nichts, wir können darauf verzichten. E. behauptet mittlerweile, er hätte allein bezahlt (nicht sehr glaubwürdig, er zetert sonst immer um jeden Cent) und damit das Recht, ständig all die grande-fratello-Sendungen (Big Brother) zu gucken.


Mein Fernsehkonsum beschränkt sich meist eh nur auf die Nachrichten, die ich während des Abendessens sehe. Vermutlich könnte man deutlich besser italienisch lernen, wenn man sich all die Shows rund um die Uhr ansieht. Der Preis dafür wäre aber die totale Verblödung, das möchte ich dann doch nicht riskieren. Einmal die Woche schau ich mir auch eine Show an, aber mehr aus landeskundlichem Interesse. Heute war es eine Quizshow mit einem dicken Moderator, der hier eine Art Star zu sein scheint, er präsentiert auch „Wer wird Millionär“ und macht nebenbei Werbung. Der Unterschied zwischen deutschen und italienischen Rateshows besteht weniger im Inhalt, als in der Aufmachung. In Deutschland fehlen einfach die jungen, halbnackten Mädchen, die artig am Rand sitzen, lächeln, applaudieren und gut aussehen.

Eine andere Show, die ich gesehen habe, nannte sich „stranamore“ und war die pervertierte Version von „Nur die Liebe zählt“. Es geht nicht darum, neue Paare zusammenzuführen, sondern alte. Da sitzt dann ein trauriger Mann in der Show und hofft, seine Frau wiederzubekommen. Leider will die nichts mehr von ihm wissen und lehnt es ab, sich die Videobotschaft ihres Gatten, anzusehen. Später ruft der Moderator noch die Frau an, versucht sie zu irgendwas zu überreden, aber sie sagt immer nur, dass sie nicht mehr will und ihr Ex schon wüsste, warum. In einer WG hat man beim Ansehen einer solchen Show viel Spaß, aber das läuft hier unter Familienprogramm.

Nun bin ich vollkommen vom Thema „Illegal?“ abgekommen, dabei wollte ich dazu noch eine Anekdote beisteuern. Seit Ende letzter Woche bin ich nun auch endlich Teil des clientelismo, der Günstlingswirtschaft. Bereits im letzten Jahr kaufte ich gelegentlich an der Service-Theke meines örtlichen Mini-Supermarktes Käse oder Schinken. Dabei fragte mich der Verkäufer, wo ich denn her käme (man erkennt mich überall als Ausländer, ein ganz neues Gefühl). Ich antwortete und so fing er an, mit mir einige deutsche Worte zu wechseln. Immer, wenn ich was bei ihm kaufte, kam es so zu einem Small Talk, wie er nur in kleinen Kiezläden möglich ist. Letzten Freitag wollte ich wieder mal 50g des teuren, aber unglaublich leckeren, Wunderschinkens San Daniele kaufen, er machte aber 100g draus und sagte: „ti faccio uno sconto“ (ich mach dir einen Rabatt). Der Grund ist ganz einfach, wir haben uns das Wochenende vorher in Genuas einziger Schwulendisko getroffen.

Schwulsein in Italien

Und schon sind wir beim nächsten Thema. Bei Semesterbeginn im Oktober letzten Jahres, sind mir neben Wohnungsgesuchen, kommunistischen Flugblättern und Lehrbuchverkäufen, wie sie an wohl allen schwarzen Brettern an italienischen Unis zu finden sind, auch A4-Blätter aufgefallen, die von einem 24jährigen angehängt wurden, mit dem Ziel Gleichgesinnte zu treffen. Der junge Mann hatte gerade entdeckt, schwul zu sein.


Da auch ich neu in der Stadt war, schrieb ich ihm eine Email. Es begann ein oberflächliches hin und her von Mails, und so merkte ich, dass es sich dabei um einen schüchternen Jungen handelte, der anscheinend nicht so richtig wusste, was er wollte. Da ich jedoch kurze Zeit später im Virgo, jener Schwulendisko, T. kennen gelernt habe, daraus auch mehr wurde und ich ihn mittlerweile als meinen Freund bezeichnen würde, blieb der Email-Kontakt mit A., so heißt er, weiterhin sehr oberflächlich. Nach meiner Rückkehr aus Deutschland lebte dieser Kontakt wieder auf und da ich in diesen endlosen Ferien eh immer Zeit habe, ließ ich mich zu einem Treffen mit ihm überreden. Wir tauschten unsere Nummern und vor ungefähr einer Woche rief er an und es kam zu einem spontanen Treffen. A. kommt nicht aus Genua, sondern aus Albenga, einem Ort 100 km westlich von Genua, in dem ich 1999 mal einige Tage gezeltet habe. Ach, welche Schicksale sich hinter den Mauern eines Ferienparadieses verbergen.

Er wollte von mir wissen, wie man sich einen schwulen Bekanntenkreis aufbauen könnte, ich sollte ihm berichten, wie ich das gemacht habe. Alles, was ich so nannte, Jugendgruppen oder Cafés, z.B., ist in Genua einfach nicht vorhanden. Es gibt nur diese eine Disko, in die ich ihn nicht gleich schicken wollte. Er kam jedoch selbst drauf und meinte gleich, dass er weder Führerschein noch Auto besäße und somit nicht in der Lage wäre, nachts von dort wegzukommen. Meine Antwort war, dass er dann die Nacht durchmachen müsste und einen Morgenzug nehmen müsste. Seine Eltern würden ihm jedoch nie erlauben, über Nacht wegzubleiben. Vermutlich ist A.'s Lage sehr speziell, aber sie ist eine Bestätigung des Klischees vom Italiener, der bis Ende 20 zu Hause wohnt und dort nichts zu melden hat.


Auch K., die Hallenserin, hat mir ähnliche Geschichten von ihren Bekannten erzählt. Und N.'s Freundin übernachtet auch nie bei ihm, weil sie nicht auswärts übernachten darf. Sie ist 25. T. musste ich regelrecht drängeln, dass er mal über Nacht bei mir bleibt. Schließlich gab er nach und faselte seinen Eltern was von Freunden vor, mit denen er in die Disko geht und mit denen er dann den Sonntag verbringt. Mittlerweile tut er das jedes Wochenende. Darauf kann man doch stolz sein, gelle?

A. habe ich geraten, mal ein Wochenende in Mailand zu verbringen. Dort würde es sicherlich Angebote für junge Schwule geben, wie man aus es aus Berlin gewohnt ist. Irgendeine Ausrede müsste er sich dafür allerdings einfallen lassen.

Finale

Eigentlich wollte ich in dieser Mail mal etwas genauer meine Stadt vorstellen. Aus 2 Gründen verschiebe ich das aufs nächste Mal. Erstens habe ich an dieser Mail, die ich immer zu Hause am PC schreibe, bereits 2 Stunden geschrieben, aus Versehen alles gelöscht und von vorn angefangen und nun keine Lust mehr, zweitens wollte ich auch Fotos von den liebevoll restaurierten Straßen im centro storico anhängen, aber ich warte noch, bis der Weihnachtsschmuck entfernt wird. Kein Witz!


Ciao... Daniel