martedì 17 ottobre 2006

sono tutti ladri!

Cari amici,
 
in den vergangenen 2,5 Monaten hat sich eine Menge entwickelt und so ist es mal wieder an der Zeit, Euch über den aktuellen Stand der Dinge auf den neuesten Stand zu bringen.

Umzug

Berichtet hatte ich in der letzten Mail von dem untragbaren Zustand meiner Wohnsituation in Pisa. Ich kann Euch, die Ihr sicherlich alle mitgelitten habt, beruhigen. Ich bin umgezogen. Nicht nur in eine neue Wohnung, sondern auch gleich in eine andere Ortschaft. Mit Pisa verbindet mich jetzt nur noch das Provinzkürzel, das ich beim Angeben meiner Adresse hinter den Ortsnamen setze. Gefunden habe ich meine Zwei-Zimmer-Wohnung bereits Ende Juli durch gezieltes Stöbern auf italienischen Immobilien-Homepages.
Meine neue Wohnung ist keine alte Bruchbude mehr, sondern eine Art Reihenhaus, welches vor kurzer Zeit vollkommen erneuert und renoviert wurde. Das Haus hat je 5 Wohnungen im Erdgeschoss, welche über die zu den Wohnungen gehörenden Terrassen an der Nordseite des Hauses erreicht werden können. Die im Obergeschoss gelegenen Wohnungen sind von der höher gelegenen Straße an der Südseite des Hauses zu erreichen. Konzipiert wurde das Haus offenbar als Ferienwohnungsanlage. Neben mir bewohnen lediglich 2 oder 3 Familien ganzjährig die Wohnungen, die restlichen Eigentümer nutzen ihre Wohnungen als Wochenendhaus oder vermieten es an Touristen, die in den Sommermonaten die Toskana besuchen wollen.
Deutlichster Hinweis auf den Ferienwohnungscharakter der Anlage ist der Swimming-Pool (16m lang), der in den Sommermonaten geöffnet ist. Da ich Ende August umgezogen bin, konnte ich vom Pool noch für ungefähr 3 Wochen ausgiebig Gebrauch machen. Mittlerweile ist der Sommer aber auch in der Toskana vorbei, auch wenn man das tagsüber noch nicht so recht glauben mag. In den Abend- und den frühen Morgenstunden ist es aber schon recht frisch.

Sono tutti ladri!

Sie alle sind Diebe! Wer? Neben einigen (halbstaatlichen) Unternehmen wie der Telecom Italia, die 150€ Telefonleitungsaktivierungsgebühr für die Freischaltung einer existierenden Leitung verlangt, wie der Enel, dem Stromversorger, die für das Umschreiben des Stromvertrages auf meinen Namen 80€ verlangt, fällt mir da noch der Staat ein.
Bereits während meines Erasmusjahres hatte ich am Rande mitbekommen, wofür alles der italienische Staat Abgaben und Steuern erfunden hat. Und nun war ich an der Reihe. Meine Wohnung habe ich, im Gegensatz zu meinen bisherigen italienischen Unterkünften, ganz legal und offiziell mit Mietvertrag gemietet. Und das kostet. Das Gesetz will, dass der Mietvertrag mit 4 Steuermarken à 14,62€ versehen wird. Aus unerfindlichen Gründen war es notwendig, einen (vermutlich mit meinem Vermieter befreundeten) Finanzberater mit der Formulierung des Vertrages zu beauftragen, Vordrucke ließen sich nicht auftreiben und nur ein entsprechend gewappneter Professioneller sei in der Lage, sich mit der Formulierung und Registrierung (!) des Mietvertrages zu befassen. Dieser Service kostete weitere 80€. Und noch einmal ca. 100€ kostete dann die Registrierung des Mietvertrages beim Finanzamt. Ohne eine solche Registrierung ist ein Mietvertrag nicht gültig und daher nicht legal. Und ohne die Steuermarken kann er natürlich nicht registriert werden. Unglaublich, aber leider wahr. Die insgesamt ca. 240€ Mietvertragskosten waren je zur Hälfte von Mieter und Vermieter zu tragen. Der Mietvertrag ist dafür 1 Jahr gültig. Sollte er erneuert werden, so werden erneut Kosten fällig. Nicht mehr für die Formulierung, aber für die Registrierung. Ob dann auch wieder Steuermarken notwendig sind... keine Ahnung.
Weitere Beispiele für staatliche Abzocke sind die jährliche Kontoführungssteuer von aktuell 34,20€ (die Regierung Prodi will sie leicht absenken) oder die kostenträchtige Ummeldung von Autos, die nicht unter 400€ erledigt werden kann. Das verteuert natürlich beträchtlich den An- oder Verkauf von Gebrauchtwagen. Sollte ich jemals eine italienische Autonummer haben wollen, was ich auch aufgrund der maßlosen italienischen Autoversicherer nicht beabsichtige, dann würde mich die Zulassung meines ausländischen Fahrzeugs ab 600€ aufwärts kosten. Grund sind nicht nur die diversen Steuern und Gebühren, sondern vor allem die Finanzierung uns nutzlos erscheinender bürokratischer Abläufe. In Italien ist diese Bürokratie aus vielen Gründen ausgeufert, ein Grund sind sicher auch die italienischen Steuerzahler, denen der Staat mit unerschöpflichem Misstrauen und dementsprechend intensiver Bürokratie begegnet.
Und damit kommen wir zu den wahren ladri. Letzte Woche wurde in Italien eine Statistik veröffentlich, die das Durchschnittseinkommen verschiedener Berufsgruppen aufzeigt. In den italienischen Medien wurde sie als Steuerhinterzieherstatistik interpretiert. Ein Arbeiter in den Fiat-Werken Turins verdient mit seinem Bruttojahreseinkommen von ca. 16.000€ in etwa so viel (oder wenig...) wie die Händler, die in den piemontesischen Autohäusern seine Autos an den Mann bringen. Während der Arbeitnehmer jedoch tatsächlich dieses Einkommen hat, liegt es bei den Selbständigen mehr oder weniger bei Ihnen, was sie in der Steuererklärung angeben und was nicht. So kommt es dann auch, dass Juweliere oder Barbesitzer weniger als Grundschullehrer verdienen, die mit ihren 21000€ auch nicht gerade zu den Spitzenverdienern zählen.
Den Vogel schießen aber die Autohändler und die Schuster in Südtirol (knapp 70% deutschsprachige Bevölkerung) ab. Weniger als ihre 1.073 beziehungsweise 673€ Jahreseinkommen erzielt in ganz Italien niemand. Die Steuerhinterziehung liegt also ganz offensichtlich nicht in den italienischen Genen. Der Wirtschaftsminister hat nach Bekanntwerden der Statistik ein härteres Vorgehen gegen die evasori angekündigt. Er hat meine volle Unterstützung!

Die angehängten Bilder zeigen meine Terrasse und den Blick von dieser auf (den geschlossenen) Pool und die Landschaft meiner Umgebung.

Viele Grüße, Daniel




mercoledì 2 agosto 2006

campioni del mondo

Cari amici,
 
vor etwa 2 Jahren habe ich mich das letzte Mal in Form einer Rundmail gemeldet und von meinen italienischen Abenteuern berichtet. Nun ist es wieder so weit. Seit einigen Tagen bin ich wieder in Italien wohnhaft, ganz offensichtlich lassen mich dieses Land und seine Menschen nicht mehr los. Und da die Gelegenheit günstig war, blieb nicht viel Zeit zum Zögern. Die Geschichte begann vor ungefähr 2 Monaten und wer sie bereits kennt, möge diesen Teil überspringen.

Mein Weg nach Italien

Mit dem Urschleim (Italiensehnsucht, Erasmus in Genua usw.) muss ich sicherlich nicht anfangen und bestimmt wird sich der eine oder andere noch an den Namen T. und seine Bedeutung erinnern können.
Mitte/Ende Mai war ich zum wiederholten Male bei T. in Genua zu Gast. Bereits Wochen vorher habe ich verlauten lassen, dass ich mich mit dem Gedanken trage, nach Italien zu ziehen und ob seine (unglaublich einflussreiche) Familie sich nicht mal für mich in Sachen Arbeitsplatz umhören könne.
Jedenfalls wurde mir während meines Besuchs in Genua ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen konnte. Es ging um einen neu zu schaffenden Arbeitsplatz im Büro der Firma von T.'s Vater, die an der Entstehung von Megayachten beteiligt ist. Megayachten jener Art, wie sie in Häfen wie Monte Carlo anzutreffen sind und deren Besitzer (im Idealfall) Rennfahrer, Filmstars oder Softwareunternehmer sind. Im Ausnahmefällen wird sicher auch die eine oder andere zwielichtige Persönlichkeit zu einem Megayachtbesitzer. Aber die Drogenbosse bestellen ihre Boote sicherlich bei der Konkurrenz...
Und so trat ich bereits einige Wochen später, nämlich am Montag, dem 3. Juli meinen Job in Livorno, einer Hafenstadt, die weniger hässlich als ihr Ruf ist, an. Da ich jedoch noch 2 Prüfungen zu absolvieren hatte, kehrte ich für die zweite Julihälfte noch einmal nach Berlin zurück, bestand beide (zumindest gehe ich davon aus...) und verabschiedete mich am 29. dauerhaft von meiner alten Heimat. Ein sehr seltsames Gefühl beschlich mich schon, eine Mischung aus Trauer, Vorfreude, Ungewissheit und Hoffnung. Und nun bin ich hier in meiner Pisaner Bruchbude und erzähle Euch von meinem neuen Leben.

Der Job


Was genau tue ich da eigentlich? Der Hintergrund ist der, dass die Firma einige neue Aufträge bekommen hat, die es erforderlich werden lassen, die Kräfte der Firma zu bündeln und zu verstärken. Und was lag also näher, als die 3 neu geschaffenen Arbeitsplätze mit Personen zu besetzen, die man kennt und denen man vertrauen kann? Arbeitsplatz Nr. 1 (Personalchefin) wurde folgerichtig von V., T.'s Schwester, besetzt. Arbeitsplatz Nr. 2 (Qualitätskontrolle) bekam G., seines Zeichens Freund von Veronica. Dritter war schließlich ich, der „gute (offiziell platonische) Freund“ von T., der durch jahrelange Besuche schon zum Freund der Familie avanciert war.
Diese sehr italienisch anmutende, aber vermutlich auch in anderen Teilen der Welt praktizierte Personalpolitik war mein Schlüssel zum Erfolg, endlich hatte auch ich mal Beziehungen und konnte sie nutzen.
Meine Aufgaben liegen im Moment darin, Herrn B. einige Büroarbeiten abzunehmen und der Ansprechpartner bei Problemen seitens der eigenen Arbeiter und der Subunternehmer zu sein. Um mir von Anfang an eine respektable Stellung zu verschaffen, wurde ich auf der Werft als Dottor H. eingeführt. Dottore wird in Italien jeder Akademiker genannt. Meinen Abschluss habe ich zwar noch nicht, aber das ist ja nur noch eine Frage von einigen Monaten.
Jedenfalls ist es trotz des Doktortitels nicht ganz so leicht, sich den erforderlichen Respekt zu verschaffen, der für die Ausübung des Jobs notwendig ist. Aufgrund meines jugendlich-frischsympathischen Aussehens war es schon schwer genug die Leute dazu zu bringen, mich zu siezen. Und da ich den Befehl von oben habe, nicht sympathisch, sondern ruhig ein wenig „deutsch“ zu sein, muss ich nun zusehen, mir die Autorität zu verschaffen, die ich für den Job brauche. Das ist zwar nicht immer leicht, aber es macht mir doch gelegentlich Spaß, ein wenig den stronzo (hier harmlos übersetzt: böse Nervensäge) zu geben...

Wohnungssuche

Durch meine Berichte aus Genua zog sich das Wohnungsproblem wie ein roter Faden. Und leider ist das auch im Moment wieder aktuell. In Sachen Wohnung muss ich wehmütig an die tollen Berliner Verhältnisse denken, wo man eine eigene, menschenwürdige Wohnung für 230€ mieten konnte. Im Moment wohne ich in Pisa (25km Arbeitsweg) und zahle 250€ für ein heruntergekommenes Loch mit verkeimter Kochecke und gemeinsamer Nutzung eines verschimmelten Badezimmers, indem man sich wohl diverse Krankheiten holen kann. Mein Vermieter nannte das Angebot aufgrund der 2 Kochplatten euphemistisch ein quasi-monolocale, eine fast-Einraumwohnung...
Mein für italienische Verhältnisse gutes, in absoluten Zahlen aber niedriges Einstiegsgehalt erlaubt mir noch bis zu 200€ draufzulegen, um eine bewohnbarere Behausung zu finden. Und der Plan, erst mal ein wenig zu sparen, ist bereits aufgegeben. Ab September wohne ich hoffentlich besser und dann bin ich hoffentlich auch in der Lage, Besuch einladen zu können. Morgen werde ich T. mal meine Hütte zeigen, ich bin auf seine Reaktion gespannt.
Aufgrund meines provisorischen Wohnzustandes ist von Besuchen bis Ende August abzusehen und auch postalisch werde ich vorerst keine Angaben veröffentlichen. Wie gewohnt bin ich per E-Mail oder per Handy zu erreichen. Einen Festnetzanschluss werde ich möglicherweise in meiner nächsten Wohnung einrichten lassen.

Meine Aufenthaltskarte

Nach den bisherigen Berichten, die ja im Moment nur persönliche Neuigkeiten sind, habe ich aber auch eine Anekdote für Euch, die manch einer als typisch italienisch bezeichnen möge. Aber ich bitte dabei zu berücksichtigen, dass wir alle noch keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland beantragt haben... vielleicht läuft das weniger umständlich ab, aber ob mein Lösungsweg auch in Berlin funktionieren würde?

Erster Akt, 30.6.2006
Zusammen mit meinem Vermieter, einem unglaublich gesetzestreuem Bürger, mache ich mich früh morgens auf den Weg in die Questura. Halt, wir wollten uns zusammen auf den Weg machen, aber mein Vermieter war zum vereinbarten Treffpunkt nicht da. Nach 15 Minuten Wartezeit schickte ich ihm eine SMS, dass ich schon zur Questura ginge und nicht weiter warten würde. Er wollte zur Questura um meine Anwesenheit in seiner Wohnung offiziell zu melden, es gibt da wohl ein altes Gesetz, wonach man das innerhalb von 48 Stunden zu tun hat. In Genua hat das keinen interessiert, er ist aber total panisch, dass er gegen irgendeine Regel verstoßen könnte. Auf der anderen Seite wohne ich, wieder mal, ohne Mietvertrag und damit für den Vermieter steuerfrei. Der setzt halt die Prioritäten, wie sie ihm am passen.
Ankunft in der Questura. Wartenummer ziehen. Die Wartenummernzählanzeige ist außer Dienst und nach einer Weile einigen sich die Kunden untereinander, wer dran ist. Nach einer Stunde komme ich an die Reihe und darf mein Anliegen vorbringen. Ich bräuchte eine Aufenthaltskarte, werde am Montag eingestellt und das ist dringend. Der Beamte leiert herunter, dass ich 4 Passfotos (hab ich bei), eine Kopie eines Personaldokuments und des Arbeitsvertrages bräuchte. Des weiteren fragt er mich, ob ich schon mal eine Aufenthaltsgenehmigung in Italien hatte. Ich begehe einen schweren Fehler und sage, dass ich eine zwecks Studium in Genua hatte, die ist aber abgelaufen. Er will sie haben. Ich sage ihm, dass sie vor 2 Jahren abgelaufen ist und ich sie nicht mithabe. Daraufhin schickt er mich zur Anzeigenannahme, wo ich den Verlust meiner Aufenthaltsgenehmigung anzeigen müsste.
Dort warte ich eine weitere Stunde, bis ich endlich dran bin und mein Anliegen vorbringe. Der Polizist scheint auf den ersten Blick nicht der hellste zu sein. Er will die Nummer meiner Aufenthaltsgenehmigung haben. Ich sage ihm, dass die in irgendeinem Schrank in Berlin steckt und ich die Nummer nicht im Kopf habe. Er reicht mir sein Diensttelefon, ich solle zu Hause anrufen und meine Eltern auf die Suche schicken. Ich sage ihm, dass ich nicht bei meinen Eltern wohne. Er ist ratlos. Ich frage vorsichtig, ob meine Daten inklusive Nummer nicht im Netzwerk der Staatspolizei gespeichert sein könnten. Er weiß es nicht, will aber jemanden anrufen, der das wissen könnte. Nach mehreren Versuchen erreicht er niemanden und beginnt tatsächlich selbst in seinen Computer zu schauen und nach einer endlosen Zeit liest er mir triumphierend meine Nummer vor. Super! Und nach diesem Erfolgserlebnis verwandelt er sich komplett und wird wirklich clever. Er fragt mich, ob ich meine Aufenthaltsgenehmigung verloren habe. Ich sage ihm, dass sie eigentlich in Berlin liegt. Er fragt mich noch mal und ich zögere. Bevor ich antworten kann, sagt er, dass ich sie also verloren habe. Ich frage ihn zögernd, ob ich sie demnächst verlieren könnte. Er fragt jetzt ein wenig nervös ob ich sie verloren habe oder nicht. Mit fester Stimmt antworte ich aus tiefstem Herzen, dass ich sie verloren habe. Er ergänzt, dass ich Ort und Zeit des Verlusts sicher nicht wüsste. „Leider gar nicht“ antworte ich und er lächelt mich an und sagt, dass ich ihnen ja Bescheid geben könne, falls ich sie je wiederfinden sollte.
Mit der Verlustanzeige gehe ich wieder zum vorherigen Schalter und nach entsprechender Wartezeit bin ich auch wieder dran. Der Beamte, der übrigens hinter seinem Panzerglas kaum zu verstehen ist und sich erst nach mehreren hilflosen Bemerkungen meinerseits, dass ich ihn nicht verstünde, bequemt, das Mikrofon einzuschalten, fängt irgendwann an, meinen Antrag für eine Aufenthaltskarte in ein Formular zur Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung umzuschreiben. Auf meine Nachfrage, was er da tue, sagt er, dass ich keine Aufenthaltskarte kriegen könne, da mein Ausweis 1,5 Monate später abläuft. Dann gibt er mir eine Quittung für die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung und hat fertig. Mein aufkommender Zorn (ich brauchte eine Aufenthaltskarte, die Genehmigung ist etwas anderes und nützt mir gar nichts) wird von meinem Vermieter gestoppt. Der zieht mich einfach weg vom Schalter und fängt an mich aufzuklären, dass Italien halt so sei, ich solle mich nicht aufregen und er könne eh nicht verstehen, wie ich aus einem so wundervoll funktionierenden Land wie Deutschland freiwillig weggehen würde. Ich bin sprachlos und nehme mir vor, die Questura mit einem neuen Ausweis, der dann 10 Jahre gültig sein würde, im August wieder zu besuchen.

Zweiter Akt, 10.7.2006
Ich erfahre von der Chefin (T.'s Mutter), dass ich ohne Aufenthaltskarte nicht eingestellt, also auch nicht bezahlt werden könne und rückwirkend können man das später auch nicht mehr tun, wie ich vorher gedacht hatte. Das hieß also, dass ich mit einer im August ausgestellten Aufenthaltskarte kein Juli-Gehalt kriegen könne. Fünf Minuten nach dem Telefongespräch mit ihr wende ich mich an meinen Chef und erbitte mir für den nächsten Vormittag ein paar freie Stunden, um die Questura heimzusuchen.
Zwölf Tage nach meinem ersten Questura-Besuch werde ich wieder vorstellig. Nach dem üblichen Wartenummernspiel bin ich irgendwann dran und erkläre der Beamtin (mit eingeschaltetem Mikro) meine Lage. Sie beruhigt mich ein wenig und sagt, dass mein Antrag automatisch in einen Antrag zu einer Aufenthaltskarte umgewandelt wurde und ihr Kollege offenbar was falsch verstanden hatte.
Super. Allerdings sagt sie mir anschließend, dass ich mit ungefähr 2 Monaten Wartezeit rechnen müsste, bevor ich die Karte ausgestellt bekäme. Ich erkläre ihr die Sache mit dem Arbeitsvertrag, den ich erst bekomme, wenn ich die Karte habe. Es tut ihr leid, aber da könne sie nichts machen. Ich rege mich auf und fange an, lauter zu werden, wie man sich das denn vorstelle. Ich könne doch nicht 2 Monate rumsitzen und von welchem Geld ich in der Zwischenzeit leben solle, da ich ja nicht arbeiten könne. Sie weiß es auch nicht, aber das sei halt so.
In diesem Moment erinnere ich mich an den Tipp meiner Chefin, sich zum Vorgesetzten bringen zu lassen, darauf habe jeder Bürger ein Recht. Ich verlange das also, aber die Beamtin meint, sie habe keinen Vorgesetzten hier im Büro. Ich will daraufhin den Chef der Questura. Sie versucht mich hinzuhalten, verschwindet aber irgendwann, kommt wieder und sagt, ich solle ins Immigrationsbüro gehen und dort würde man mich zum Leiter vorlassen. Man muss dazu wissen, dass in der Questura in Pisa die EU-Bürger nicht am Immigrationsschalter, sondern an der Passstelle bedient werden. Ich gehe also in das Büro einmal ums Haus und stehe am Immigrationsschalter. Dort warten ungefähr 100 genervte, mit Dokumenten wedelnde und schreiende Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft nicht in den Genuss einer Vorzugsbehandlung kommen. Wirklich Lust habe ich nicht, mich dort vorzudrängeln und nach dem Chef zu fragen. Ich gehe also zum Haupteingang und sage dem jungen Pförtnerpolizisten, dass ich zum Leiter der Immigrationsstelle möchte. Der will mich erst einmal ein paar Minuten lang abwimmeln, nach heftigem Insistieren bequemt er sich aber dazu, das Telefon in die Hand zu nehmen, mit irgendwem zu telefonieren und mich schließlich zum Leiter der Immigrationsstelle zu bringen. Was für ein Triumph!
Der Leiter hört sich mein Anliegen an und sieht erst einmal nicht, warum man für mich eine Ausnahme machen soll. Er nimmt ein unglaublich dickes Buch in die Hand, wedelt damit in der Luft herum und sagt: „Das ist das italienische Gesetz. Das sieht vor, dass die Erstellung der Aufenthaltskarte für EU-Bürger nicht länger als 120 Tage dauern darf. Wollen Sie es nachlesen? Bitte sehr!“ Und damit hält er mir das Buch lächelnd entgegen. Ich entgegne ihm, dass ich das ja glaube, aber es könne doch nicht, sein, dass ich 4 Monate auf die Karte warten müsse. Nach mehreren Minuten Hin- und Herdiskutieren, in denen sich der Leiter ziemlich uneinsichtig zeigt, lasse ich unbewusst ein Zauberwort fallen. Ich frage nämlich, ob man die Prozedur nicht beschleunigen könne. Ha! Er windet sich etwas und erklärt mir das in begründeten Ausnahmefällen eine „procedura d’urgenza“ (Dringlichkeitsprozedur) möglich sei. Dazu müssten sowohl ich als auch mein potenzieller Arbeitgeber schriftlich die Dringlichkeit begründen und ihm vorlegen. Ich vereinbare mit ihm, diese Schreiben zu organisieren und dann wieder zu ihm zu kommen. Er gibt mir, nach weiteren Verhandlungen, sogar die Faxnummer des Büros, wo ich ihm das Schreiben von meiner Firma zukommen lassen solle.
Tja, der Rest ist nicht weiter schwer. In telefonischer Absprache mit dem commercialista meiner Firma verfassen ich und er die entsprechenden Schreiben. Kurze Zeit später erscheine ich mit meinem Schreiben beim Leiter und warte, was folgt. In der Wartezeit gehe ich ein paar Schritte auf und ab, worauf mich der Leiter aus seinem Büro heraus anblafft, ich könne hier nicht hin- und herlaufen, dies sei eine Polizeistation und ich müsse still stehen bleiben und in seinem Blickfeld bleiben. Dies tue ich für eine weitere halbe Stunde. Offensichtlich lässt man mich schmoren. Nach einer Weile kommt eine Sachbearbeiterin und fragt mich, ob ich derjenige mit der Sonderprozedur sei. Ich bejahe und sie fragt nach meinem Namen, um meine Akte zu suchen. Sie geht dann in einen Korridor mir riesigen Regalen voller Akten. Irgendwo findet sie da meine Akte, die tatsächlich schon 12 Tage vorher angelegt worden war. Dann sagt sie mir lächelnd, dass sie eigentlich erst dabei wären, die Anträge vom Monat Mai abzuarbeiten... sie hält mich offenbar für wichtig, da ich die VIP-Prozedur bekomme und ist sehr freundlich zu mir.
Nach einer weiteren, sehr langen, Weile, teilt mir der Leiter mit, dass ich in einer halben Stunde wiederkommen solle, die Karte sei dann fertig. Es ist 13 Uhr, seit ungefähr 4 Stunden war ich in der und um die Questura unterwegs und nun gab es die Gelegenheit, was zu essen. Nach meiner kleinen Mittagspause musste ich 2 Formulare unterschreiben und hatte meine Aufenthaltskarte endlich in der Hand!
Einen Tag später bekam ich meinen Arbeitsvertrag.

Campioni del mondo

Mittlerweile sind einige Wochen vergangen und wir alle sehen das Thema WM hoffentlich etwas entspannter. Dennoch möchte ich die alten Geschichten hier noch mal aufwärmen und meine Sicht der Dinge darlegen.
Während der letzten WM-Wochen haben sich im deutsch-italienischen Fußballverhältnis einige unschöne Dinge abgespielt. Was in Deutschland kaum durch die Medien ging, aber in Italien umso mehr, war ein Artikel von SpiegelOnline, der mit einer ziemlich geschmacklosen „Satire“ ein wüstes Italiener-Bashing betrieb. Daraufhin wurden in vielen italienischen Presseerzeugnissen und wohl auch von einigen Italienern wüste Beschimpfungen in Richtung Norden geschickt. Wie das halt so ist bei solchen Konflikten, wurden „die Deutschen“ an sich verantwortlich gemacht, manch einer forderte, dass Prodi sich bei Merkel beschweren sollte.
Und aus ganz anderen Motiven begann einige Tage später auch in Deutschland eine kurze antiitalienische Welle ihre Runden zu drehen. Grund hierfür war, dass „die Italiener“ Frings verpetzt und damit seine Sperre für das Halbfinale herbeigeführt haben. Verantwortlich für die „Petzerei“ war ein italienischer PayTV-Sender, nicht das italienische Volk. Manchmal muss man so was klarstellen, weil das viel zu vielen Menschen nicht bewusst ist und die lassen sich dann von der Bildzeitung zum Pizzaboykott anstiften. Und abgesehen davon hätte vermutlich die Bildzeitung als erste „gepetzt“, wenn sie sich davon etwas versprochen hätte.
Ob die Italiener die WM nun verdient haben oder nicht, ist mittlerweile auch egal, ich möchte nur klarstellen, dass ich etwas genervt war, weil ich in der betreffenden Zeit wirklich zwischen allen Stühlen saß. Auf der einen Seite gab es einige Italiener, die mich vorwurfsvoll zu meinen Landsleuten befragten und auf der anderen Seite gab es einige Deutsche, die mich vorwurfsvoll zu meinem Gastgebervolk befragten. Glücklicherweise gab es aber auch genug Leute, hier wie dort, die von der Stimmungsmacherei völlig unbeeindruckt geblieben sind. Danke.
Den WM-Titel habe ich übrigens mit T. zusammen in einem Autokorso gefeiert... nur irgendwann hat die Hupe seines französischen Autos den Dienst verweigert.

Schluss


In meiner nächsten Mail werde ich hoffentlich von einer wunderschönen, neuen Wohnung berichten können. Bis dahin alles Gute und einen schönen Gruß an Euch aus Pisa!


Daniel