lunedì 9 novembre 2009

venti

Cari amici,

nach langer Stille melde ich mich wieder mit einem Bericht aus Italien. Seit sechs Jahren, beziehungsweise aufgrund einer zweijährigen Unterbrechung seit vier Jahren „netto“, lasse ich Euch an Begebenheiten, Erfahrungen und Empfindungen teilhaben und damit soll es nun auch gut sein. Zum (vermutlich) letzten Mal werde ich heute von meinem Leben in Italien berichten. Die Gründe werde ich noch erläutern, aber zu Beginn werde Euch wieder mal sowohl positiv wie auch negativ über Italien berichten.

Sagre

Bereits im Frühjahr 2004 war ich zu sogenannten sagre in einigen ligurischen Küstendörfern. Sagre sind Volksfeste, die sich um die kulinarischen Spezialitäten der ausrichtenden Ortschaften drehen. Normalerweise ziehen sie ungeahnte Menschenmassen an, unbedeutende Bergstraßen werden dann zu Staufallen und die teilweise verschlafenen Dorfzentren verwandeln sich für ein paar Tage in regionale Kulturzentren.
In Ligurien war es in Camogli das Fischfest, auf dem in einer riesigen Bratpfanne (in der Art von Villarriba und Villabajo aus der Spülmittelwerbung) Fisch gebraten und unter den sich um die Pfanne drängenden Massen verteilt wird. In Recco gab es die berühmte focaccia al formaggio di Recco (die Berühmtheit scheint sich hierbei auf die Provinz Genua zu beschränken), die an mehreren Ständen in der Stadt verteilt wird. Auf beiden Festen werden diese Spezialitäten sogar kostenlos verteilt, und das im als geizig geltenden Gebiet um Genua.


Blick auf Camogli – angeblich leitet sich der Name ab von Case delle mogli – die Häuser der Ehefrauen (die Männer waren als Seeleute immer unterwegs). Laut italienischer Wikipedia hat der Ortsname aber leider andere Ursprünge.
Kostenlos sind die Spezialitäten hier in der Toskana zwar nicht, aber dennoch sind die sagre auch hier ein Höhepunkt für die ausrichtenden Orte und die Besucher von nah und fern. Als ich noch in Pieve wohnte, war die örtliche sagra der Saubohne und der Erdbeere gewidmet, nicht so berauschend, dass man darüber Worte verlieren müsste. Allerdings muss man hinzufügen, dass in der Toskana die Feste doch eine höhere kulinarische Vielfalt bieten als die beiden Beispiele aus Ligurien, sie beschränken sich nicht auf die Produkte, die dem Fest den Namen geben. Praktisch sind die toskanischen und ligurischen Feste in ihrer Art überhaupt nicht vergleichbar. In der Toskana werden generalstabsmäßig Sportplätze und Festzelte mit Tischen, Bänken und Stühlen vollgestellt. Die Besucher bekommen am Eingang das Menü ausgehändigt, auf dem sie die Speisen und Getränke ankreuzen, die sie konsumieren möchten. Dann wird als erstes bezahlt und ihnen wird schließlich eine Quittung ausgehändigt, mit der sie dann in Richtung Festzelt gehen und sich einen Tisch zuweisen lassen. Nach und nach bekommen sie dort dann ihre Speisen in der für Italien üblichen Reihenfolge (Vorspeise-Pastagericht-Fleisch-/Fischgericht-Nachspeise) serviert.

Sagra in Cerreto Guidi auf einem kleinen Bolzplatz im Ortszentrum
In Cerreto war ich Ende Juli auf der diesjährigen Sagra del cinghiale e del papero (Fest des Wildschweins und der Ente) und habe zum ersten Mal eine richtige toskanische sagra miterlebt. Gut, dass Cerreto ein ordentliches Menü zusammenstellen konnte. Aber auch, wer keine spezielle Jagdtradition hat, lässt sich irgendwas einfallen, um die Leute anzulocken. Der Nachbarort Lazzeretto veranstaltet jedes Jahr das Pizzafest, zu dem ich im September zweimal mit meinen Eltern war. Die Pizza ist zwar nicht wirklich toskanisch, aber das sieht man da nicht so eng.


Mein Menü in Cerreto: toskanische Vorspeise, Pasta mit Entenragout und schließlich Wildschwein
Und weil auf den Festen nicht nur gegessen, sondern gefeiert werden soll, lassen sich die Orte auch gelegentlich ein ganzes Rahmenprogramm einfallen. In Cerreto gab es ein paar hundert Meter vom Essensplatz entfernt eine Bühne, auf der Musik gespielt wurde (ein slowenischer Sänger spielte in der roten Toskana dann auch den italienischen Arbeiterliedklassiker Bandiera rossa), außerdem stellte ein lokaler Motorsportverein seine Rennautos vor, es gab eine kleine Ausstellung historischer Traktoren (die teilweise bis aus der Schweiz herangeschafft wurden) und es gab schließlich auch die in weiten Teilen Mittelitaliens verbreitete Weinverkostung. Dabei kaufen sich die Besucher ein Weinglas für drei Euro und betrinken sich nach und nach kostenlos bei den in Reihe ausstellenden Weinbauern und -genossenschaften. Wobei man ehrlich zugeben muss, das die Italiener ihre alkoholischen Grenzen ganz gut kennen und sie kaum mal überschreiten. Dadurch, dass ich vom Essen und dem dort servierten Wein schon so voll war, hatte ich mir diese Tortur dann doch erspart. Schade eigentlich.

Das Wildschein jagt die Ente nach Cerreto: das Logo zur sagra zeigt, worum es geht

Maicol

Maicol ist der Name eines jungen Italieners, der unter den Auserwählten ist, die in der neuesten Staffel vom Grande fratello (dem italienischen Big Brother) mitmachen dürfen. Sein Name ist übrigens die italienisierte Version vom englischen Michael, also in etwa wie der ostdeutsche Maik. Im folgenden ein Video, italienische Sprachkenntnisse sind nicht notwendig, um meine nachfolgende Botschaft zu verstehen:


[VIDEO EXISTIERT NICHT MEHR]

Homosexualität findet in italienischen Medien praktisch nur statt, wenn sie Aufsehen erregen soll. Vorwürfe muss sich hier nicht Maicol machen lassen, sondern die Sendergruppe Mediaset, die nun in der zehnten Staffel zum ersten Mal einen Homosexuellen ausgewählt hat, der dann auch prompt alle gängigen Vorurteile erfüllt, die noch immer in Teilen der italienischen Bevölkerung vorhanden sind und offenbar gestärkt werden sollen. Homosexuelle Partnerschaften finden vom italienischen Staat bis heute keine Anerkennung, Diskriminierung wird, wenn überhaupt, nur in Lippenbekenntnissen bekämpft.
Schüchterne Versuche einiger Kräfte der gescheiterten Prodi-Regierung, die gesetzliche Lage etwas zu verbessern, sind sämtlich gescheitert. Die Situation hat sich durch die konservative Regierung natürlich auch nicht verbessert. Als die Region Toskana vor zwei Jahren eine Kampagne gegen Homophobie startete, führte das zu wilden Protesten der rechten Kräfte, die die unerhörte Botschaft der „schockierenden“ Plakate scharf angriffen. Unter anderem mit Äußerungen, dass diese Linken jetzt schon die Babies schwul machen wollen, um ihre widernatürliche Propaganda zu machen.


„Die sexuelle Orientierung ist keine freie Entscheidung“ verkündet das toskanische Plakat
Und der neueste Skandal um den Regionspräsidenten des Latium beherrscht schon seit einigen Wochen die Schlagzeilen. Piero Marrazzo hatte zugegeben, Kunde sogenannter trans zu sein und ist schließlich in der Folge auch von seinem Amt zurückgetreten. Männliche Prostitution ist auch in Italien präsent, allerdings scheint es, dass es eine wahnsinnig hohe Nachfrage für transvestite männliche Prostituierte gibt, die sogenannten trans eben. Die Verdrängung der eigenen homosexuellen Neigungen ist scheinbar unter vielen der entsprechenden italienischen Männer so weit gediehen, dass sie selbst im Fall des bezahlten Sex die Fassade aufrecht erhalten wollen, mit irgendwie-weiblichen Personen zu verkehren.
Ich will hier nicht Maicol als Sündenbock hinstellen. Im Gegensatz zu Piero Marrazzo steht er zu sich selbst und hat die gleiche Freiheit wie alle anderen Menschen auch, aber es ist schon perfide, wie mit solch einfachen Mitteln der Verbreitung und der Verstärkung von Vorurteilen Vorschub geleistet wird.
Aber obwohl Homosexuelle von den Medien sehr oft nur in verzerrender Form beschrieben werden, gibt es laut Umfragen Mehrheiten, die die Einführung einer Homo-Ehe beführworten würden. Bleibt nur zu hoffen, dass es in Italien eines Tages Politiker geben wird, die nicht auf Ausgrenzung bauen und den päpstlichen Einfluss eindämmen können.

Italianità

Wie Ihr seht, Italien hat seine guten wie schlechten Seiten. Und das war mir auch schon klar, bevor ich hierher kam. Und da ich noch immer gelegentlich Augenblicke der von mir so romantisch empfundenen italianità erlebe, werde ich auch für's erste noch eine Weile hier bleiben, so es mir möglich ist. Für diejenigen unter Euch, die mit diesem italienischen Lebensgefühl nichts anfangen können, verlinke ich hier zwei Werbespots, die Euch vielleicht einen kleinen Einblick verschaffen können. Sie sind einfach zu schön. Denjenigen hingegen, die manchmal selbst ein wenig italianità verspüren, werden beim Anblick dieser Bilder wahrscheinlich gleich die Tränen kommen.


Spot von 2007:


Spot von 2009:


Monte dei Paschi di Siena, die älteste Bank der Welt, ist seit 1472 mit der italienischen Geschichte verbunden und macht mit diesem Erbe diese wunderbaren Werbespots. Da möchte man glatt losgehen und sich ein Konto bei denen einrichten. Praktischerweise haben die sogar eine Filiale in Cerreto Guidi. Nach einem Blick auf die Tarife von MPS sind mir allerdings dann doch wieder Zweifel gekommen und ich vertraue mein Geld weiterhin einer anderen Bank an. Italienisch ist sie ja auch.

Venti

Vor zwanzig Jahren wehten die Winde der Veränderung durch Osteuropa und heute nun jährt sich jenes Ereignis, dass mir erst das Entdecken und Ausleben meiner eigenen italienischen Adern ermöglichte. Leider kann ich gerade heute nicht in Berlin sein, aber vielleicht schaffe ich es ja zum 25. Jubiläum. An dieser Stelle, da wir ja von Italien sprechen, soll auch an Benito Corghi erinnert werden, ein italienisches Opfer der innerdeutschen Grenze. Corghi war LKW-Fahrer und wurde 1976, sozusagen aus Versehen, von DDR-Grenzern an der bayerisch-thüringischen Autobahngrenze erschossen. Der Super-GAU für die DDR-Behörden war dabei, dass es sich um einen kommunistischen Aktivisten handelte, dem man beim besten Willen keine feindseligen Absichten unterschieben konnte. Zum ersten Mal überhaupt sprach die DDR schließlich im Nachhinein von einem tragischen Unfall, konnte aber dennoch nicht die Gemüter der italienischen Genossen besänftigen. Wer mehr wissen will, dem kann ich ein paar Links über diesen Teil der Geschichte zukommen lassen.
Beppe Severgnini, Journalist des Corriere della sera, war 1979 zum ersten Mal in Ostberlin und hatte danach mehrere Reisen in die Länder des Ostblocks unternommen. Heute früh war er bei Radio Monte Carlo zugeschaltet und erzählte dort ein wenig. An einem Punkt hatte er dann den, aus italienischer Sicht, völlig einleuchtenden Beweis erbracht, warum der Kommunismus eine unerfüllbare Utopie sei. Wenn nicht einmal die Deutschen ihn zum Laufen bringen könnten, ja wer denn dann?
Das Jubiläum nehme ich zum Anlass mit Ausgabe Nummer zwanzig meine Berichtsreihe abzuschließen. Übrigens: heute war ich zum zwanzigsten Mal an meinem neuen Arbeitsplatz, das Ende der Berichte hängt also nicht mit einer eventuellen Rückkehr nach Berlin zusammen. Es ist viel banaler: ich lebe mittlerweile schon so lange hier in Italien, dass es einfach immer schwieriger wird, noch interessante Geschichten zu beschaffen. Möglicherweise ist für mich auch einiges, was vielleicht von außen merkwürdig empfunden werden könnte, schon so normal, dass es mir gar nicht mehr auffällt. Außerdem hat diese Schreiberei für mich anfangs als Blitzableiter funktioniert, um einfach das zu verarbeiten, was mir hier widerfuhr. Und ich denke einfach, dass diese Phase jetzt abgeschlossen sein sollte.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es eine gewisse Kritik gab, die mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich hoffe, die Mehrheit der Leser versteht, dass ich mich niemals über Italien lustig machen wollte (außer vielleicht manchmal...), aber es besteht doch immer die Gefahr, dass meine Erfahrungen, die ja durchaus real sind, gewisse Vorurteile bedienen, aus denen sich bei manchen Lesern ein Bild von Italien zimmert, dass der Realität nicht gerecht wird. Dagegen kann ich nichts tun. Entweder ich schwärme, warum Italien so viel toller ist als Deutschland und das würde Euch nerven. Oder ich motze nur noch rum, wobei sich dann die Frage stellt, warum ich mir das alles überhaupt antue. Das ist einfach ein unlösbares Problem.
Daher soll es nun gut sein und ich verabschiede ich mich von Euch mit noch einem weiteren Video. Von Simone Cristicchi, den ich bereits in einem früheren Beitrag verlinkt habe (Klick!), stammt diese modernisierte Version eines italienischen Schlagers, den vermutlich einige von Euch schon mal gehört haben. Die entsprechenden Bilder hat ein Youtube-User unterlegt. Beides zusammen ergibt einen kleinen Blick auf das Italien von heute und gestern.



Saluti, Daniele

martedì 30 giugno 2009

la dolce vita

Cari amici,

rechtzeitig zur Ferienzeit melde ich mich mit meinem neuesten Bericht aus meiner toskanischen Wahlheimat. Und es gibt auch wieder einiges zu erzählen. Die wichtigsten Neuheiten zum Beispiel, was mein seit drei Jahren andauerndes italienisches Abenteuer und auch was dieses Geschreibsel betrifft. Und gleichzeitig, da ja Ferienzeit ist, auch mal ein paar Bemerkungen zu den Sachen, mit denen auch Touristen, und damit vielleicht auch Ihr, hier konfrontiert werden könnten.

La dolce vita 

La dolce vita – oder auf deutsch: arbeitslos und Spaß dabei. Seit einigen Wochen bin ich wieder auf Arbeitssuche. Mein befristeter Arbeitsvertrag wurde leider nicht verlängert. Meiner Meinung nach zu Unrecht, aber ich möchte an dieser Stelle nicht unnötig über meinen ehemaligen Arbeitgeber herziehen. Die Reaktionen einiger meiner deutschen Kunden auf diese Entscheidung sind mir Anlass genug, mir keine Vorwürfe machen zu müssen. Und am Ende hat auch T. einfach recht, als er mit dem aufmunternden Kommentar „peggio per loro“ reagierte, was wohl am treffendsten mit „die werden schon sehen, was sie davon haben“ übersetzbar ist.
Was die weitere Zukunft angeht, bin ich im Moment in einer Erkundungsphase. Es gibt konkrete und nicht uninteressante Angebote aus Deutschland und es könnte durchaus möglich sein, dass ich nach dem Sommer zurückkehre. Allerdings habe ich auch in den letzten Wochen noch einige Vorstellungsgespräche hier in der Toskana geführt.
Ich sehe die Sache relativ entspannt, schaue mich um und werde sehen, was sich ergibt. Und da ich nun auch von den Segnungen des italienisches Sozialstaates profitiere und von meiner ehemaligen Firma auch noch einige Zahlungen erhalten werde, brauche ich mir für mehrere Monate auch keine finanziellen Sorgen machen.

Was liegt also näher, als nun endlich mal einen langen italienischen Sommer zu genießen, wie es sich gehört, wenn man in einer Region wohnt, die zu den wichtigsten Touristenzielen weltweit gehört. Also mache ich da jetzt einfach mit, spiele den Touristen und erfreue mich an malerischen Stränden, jahrhundertelang gepflegter Kulturlandschaft, wunderhübschen Altstädten und einem leckeren gelato.

Die weißen Strände (spiagge bianche) von Vada (LI)
Was Ihr hier seht, sind die weißen Strände von Vada, einem Badeort in der Großgemeinde Rosignano in der Provinz Livorno. Die Leute pilgern aus der halben Toskana hierher, denn im Gegensatz zu den Stränden am weiter nördlich gelegenen Küstenstreifen Versilia (deren wichtigster Ort Viareggio heute traurige Schlagzeilen gemacht hat) hat man in Vada weder Parkplatzprobleme noch hohe Eintrittskosten für die Strandbäder zu entrichten. Meiner bescheidenen Meinung nach gehören die weißen Strände mit zum besten was einem hier geboten werden kann. Ich werde in den nächsten Wochen auch sicher einige andere Gebiete erkunden, vor allem Richtung Süden soll es noch viele schöne Strände geben.
Die weißen Strände werden sogar als Hintergrund für Werbeaufnahmen und Modemagazine genutzt, denn die extrem helle Farbe des Sandes bietet mit dem türkisblau des Meeres fast schon Südseeflair. Außerdem reflektiert dieser extrem helle Sand die Sonne in einer Art und Weise, dass man sich hier praktisch turbo-bräunen kann. Und ganz nebenbei wäre vielleicht noch erwähnenswert, dass die helle Farbe des Sandes dem langjährigen Einfluss des benachbarten chemischen Industriekomplexes geschuldet ist. Also auch eine Art Kulturlandschaft.
Der belgische Solvay-Konzern hat bereits seit fast einhundert Jahren ein Werk in der Gemeinde Rosignano stehen. Während Rosignano früher nur ein kleines Städtchen auf einem Hügel oberhalb der Küste war, entstand unten an der Küste, nördlich von Vada (das schon in der Antike besiedelt war) zusammen mit dem Solvay-Werk ein völlig neuer Ort: Rosignano Solvay. Das alte Rosignano auf dem Hügel heißt seitdem Rosignano Marittimo.
Solvay produziert in seinem Werk irgendwelche Natriumprodukte, die für alles mögliche (Salze, Kohlensäuren) nützlich sind. Das Werk nutzt dabei das Meerwasser zur Kühlung während irgendwelcher Herstellungsprozesse und leitet auch Substanzen in das Meer, die nach Meinung Ahnung habender Personen (zumindest in den letzten Jahren) unbedenklich sind. Bleibt zu hoffen, dass das so richtig ist. Diese Substanzen hellen rund um die Fabrik das Meerwasser sehr deutlich auf und haben über die Jahrzehnte hinweg dem Ort Vada diese fantastischen Strände beschert.
Die Gemeinde Rosignano hat also mit ihrer Standortpolitik richtig Glück gehabt. Die Ansiedlung einer neuen Industrie hat sich in jeder Hinsicht positiv ausgewirkt, sie hat den Tourismus nicht nur nicht behindert, sondern ihn letztendlich sogar gefördert!
Von Rosignano lernen, heißt siegen lernen. Im hinterletzten Winkel des Gemeindeterritoriums hat Rosignano sogar eine Mülldeponie eingerichtet, die den eigenen Kassen Geld bringt und deren unerwünschte Effekte eher die Nachbarn belasten.

„Area24“ bei Sanremo (IM) – eine ehemalige Eisenbahnstrecke wurde zum Radweg umgebaut
In anderen Regionen muss man sich da schon deutlich mehr einfallen lassen und bekommt die Touristenattraktionen nicht auf eine solch elegante Art und Weise geschenkt. Obiges Bild zeigt nicht die toskanische Küste, hier befinden wir uns in Ligurien, nicht weit von der französischen Grenze entfernt.
Zwischen Imperia und Sanremo wurde eine alte, längst stillgelegte, Eisenbahnstrecke zu einem besonders schönen Radweg (Projektname: Area24) umgebaut, der für ungefähr 24 Kilometer immer entlang der Küste führt. Anfang Juni bin ich selbst dort gewesen, habe mich aufs Fahrrad geschwungen und bin einen Teil der Strecke abgefahren. Eine wirklich tolle Idee wurde hier verwirklicht und die Strecke soll noch um weitere 50 Kilometer in Richtung Savona verlängert werden. Wenn es soweit ist, werde ich mich sicher mal wieder auf den Weg nach Sanremo machen. Die Riviera ist ja auch ohne Area24 immer eine Reise wert. Aber hier haben die örtlichen Behörden sich nicht einfach mit der vorhandenen Herrlichkeit begnügt, sondern diese weiter verfeinert.

Kleines Auto? Wenn ich die Heckklappe meines Fiat 500 aufmache, das Fahrrad heraushole, das Vorderrad anschraube und mich auf den Sattel schwinge, gibt es immer wieder ungläubige Blicke.

Autofahren

Aufgrund des so touristischen Charakters dieser Ausgabe, werde ich nun auch mal einige Wörter zum Autofahren in Italien verlieren. Dabei möchte ich mich gar nicht so sehr auf die italienischen Autofahrer konzentrieren. Natürlich haben die italienischen Autofahrer einen anderen Fahrstil als die deutschen, aber so wie auch im restlichen Leben, ist das bloß das Ergebnis einer anderen Mentalität, die auch im Straßenverkehr deutlich wird. Das kann mal positiv und mal negativ empfunden werden, ist im Grunde aber einfach nur anders.

Eher will ich hier mal mit einem in Deutschland weit verbreiteten Vorurteil aufräumen: dass es die italienischen Ordungshüter vor allem auf die Geldbeutel der deutschen Touristen abgesehen haben. Meine Erfahrungen mit den Carabinieri (eine Art zivil tätige Militärpolizei in schwarzen Uniformen) oder der Polizia di Stato (die Staatspolizei in blauen Uniformen) sind da ganz anders. So lange ich ein Auto mit deutschem Kennzeichen fuhr, wurde ich nie von einer der beiden Polizeikräfte kontrolliert. Fast drei Jahre, wenn ich Genua, diverse Reisen und die erste Zeit in der Toskana hinzuzähle, habe ich entsprechende Kontrollposten immer passiert, ohne angehalten zu werden. Nur ein einziges Mal haben mich die Carabinieri nachts auf einer genuesischen Ausfallstraße angehalten. Anscheinend war ihnen erst, als ich zum Stehen kam, das deutsche Kennzeichen aufgefallen und sie forderten mich auch sofort zur Weiterfahrt auf. Die sich aufdrängende Erklärung ist, dass man sich vermutlich nicht mit fremdsprachigen Touristen auseinander setzen will. Hinzu kommen möglicherweise auch wieder die bereits in der letzten Mail erwähnten positiven Vorurteile Deutschen gegenüber, die sich angeblich immer korrekt und anständig verhalten.
Seitdem ich ein Auto mit italienischem Kennzeichen fahre, also seit etwa anderthalb Jahren, wurde ich bereits viermal kontrolliert. Die ersten beiden Male war es wohl auch die Neugier der Beamten, die dazu führte, mal einen Fiat 500 rauszuwinken, um ihn unter die Lupe nehmen zu können. Der Teil, der die Kontrolle von Fahrzeugpapieren und Führerschein vorsah, wurde da jeweils sehr schnell abgehandelt, stattdessen wurden mir Fragen zum Auto gestellt und Komplimente gemacht, die ich den Carabinieri für ihren schnittigen Alfa 159 auch sofort erwiderte.


Ein Alfa 159 der Carabinieri
Nachdem sich aber der Verbreitungsgrad des Fiat 500 auf den italienischen Straßen mittlerweile spürbar erhöht hat, hat sich auch der Charakter der Verkehrskontrollen, die mich betreffen, gewandelt. Jeweils einmal haben nun sowohl Polizia di Stato als auch Carabinieri die Gültigkeit meines deutschen Führerscheins in Zweifel gezogen. Sie wollten mir jeweils weismachen, dass ich ihn schon längst in einen italienischen hätte umtauschen müssen, da ich ja einen italienischen Wohnsitz habe. Das ist nur leider nicht richtig.
Meine Erfahrung ist natürlich nicht repräsentativ, aber sie spiegelt ein in Italien gängiges Vorurteil wieder, demzufolge die Carabinieri im Vergleich zur Staatspolizei nicht immer die hellsten sind. Der Polizist, mit dem ich zu tun hatte, hat meine Einwände in Sachen Führerschein angehört, sich anschließend per Funk und Gesetzbuch informiert. Nach einigen Minuten hat er sich bei mir für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und mir eine gute Weiterfahrt gewünscht.

Auch die Polizia di Stato kann im Extremfall auf schnittige Streifenwagen zurückgreifen, die freundlicherweise von Lamborghini zur Verfügung gestellt werden

Einige Zeit später gab es das gleiche Spielchen wieder, diesmal mit einem Carabiniere, der mir absolut nicht glauben wollte und auf seinem Standpunkt beharrte, dass ich meinen Führerschein schon längst hätte umtauschen müssen. Was ihn am meisten störte, war wohl, dass die deutschen Führerscheine unbefristet gültig sind, während die italienischen nach einer bestimmten Frist erneuert werden müssen, wozu ärztliche Untersuchungen vorgenommen und vor allem Verwaltungsgebühren, die vermutlich der wahre Grund für das Verfallsdatum sind, gezahlt werden müssen. Erst nachdem ich einige Minuten lang geschleimt habe, wie sinnvoll die italienische Regelung sei und wie unlogisch die deutsche, hat mich der Carabiniere widerwillig weiterfahren lassen. Er konnte sich nicht sicher sein, wirklich Recht zu haben, glaubte meinen Beteuerungen um die Legalität meines Verhaltens auch nicht recht, hat sich aber am Ende offenbar entschieden, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Und damit muss ich den Carabinieri und der Polizia di Stato auch mal ein generelles Kompliment aussprechen. Wenn man sich demütig und einsichtig zeigt, hat man die Chance, dass sich die Beamten ein Herz fassen, Menschlichkeit und gesunden Menschenverstand berücksichtigen und auch mal ein Auge zudrücken werden. Bereits zweimal habe ich teure Strafen wegen verbotener Überholmanöver verhindern können und bin mit der freundlichen Aufforderung in Zukunft die Verkehrsregeln zu beachten, davongekommen. Wirklich garstig sind eher die Gemeindepolizeien (Polizia municipale), die teilweise gewisse Quoten erfüllen müssen und im Konkurrenzkampf der Ordnungshüter auch ernst genommen werden wollen.
Die zentralstaatlichen Beamten hingegen sind sich eher dessen bewusst, dass die hundertprozentige Anwendung der italienischen Verkehrsvorschriften in der Praxis nicht immer nachvollziehbar und sinnvoll ist. Quattroruote, die wichtigste Autozeitung Italiens, hat sich erst vor kurzem darüber erleichtert gezeigt, dass Italiens Ordnungshüter glücklicherweise den Verstand vor das Gesetz stellen und zum Beispiel die Lichtpflicht, an die sich ja auch kaum einer hält, nicht durchsetzen. Böse Zungen behaupten, dass in Italien die Pflicht, auch tagsüber mit Licht zu fahren, nur eingeführt wurde, weil die Glühlampenindustrie die Politik geschmiert hat.

Ich halte das für unglaubwürdig. Der damals zuständige Verkehrsminister Pietro Lunardi war wohl kaum von solchen Peanuts abhängig. Einige Tage vor der Ernennung zum Minister hatte er seine Baufirmen an seine Ehefrau verkauft. Kurze Zeit später hatte er diesen Firmen den Auftrag zum Bau von mehreren Straßen- und Eisenbahntunneln erteilt.

Acht geben sollte man auf die Schilder, die auf italienischen Straßen vor Blitzern warnen
Nun ist es aber nicht so, dass man aufgrund der „elastischeren“ Polizei darauf bauen kann, dass die theoretischen, sehr drakonischen Strafen nicht angewendet werden. Meine Sätze sollen also keinesfalls als Freibrief zur Raserei verstanden werden. Mobile Geschwindigkeitskontrollen sind zwar sehr selten und fest installierte Anlagen müssen, nachdem sich einige Gemeinden allzu dreist (wir hatten das Thema ja bereits) verhalten haben, neuerdings von Gesetzes wegen, wenige hundert Meter vorher durch große Schilder, wie auf dem oberen Bild, angekündigt werden, aber dennoch kann es einen erwischen und man zahlt dann saftige Strafen, die die deutschen Tarife wie Sonderangebote erscheinen lassen. Ab lediglich 11 km/h über dem Limit ist man mit mindestens 150 Euro dabei, hinzu können noch Verwaltungskosten kommen. Aufgrund der geringen Kontrolldichte wirken sich diese Strafen allerdings nicht sonderlich abschreckend auf die Disziplin der Autofahrer aus. Wen es dann wirklich mal erwischt, der fühlt sich, verständlicherweise, einem Akt polizeilicher Willkür ausgeliefert.
Aber es gibt noch andere Gründe, die Tempolimits einzuhalten oder gar zu unterschreiten: erstens sind zumindest in meiner Gegend, viele Gemeinden dazu übergegangen, innerhalb der Ortschaften, regelmäßig verteilte Huckel zu errichten, die man besser nicht mit mehr als 30 km/h überfährt, wenn man regelmäßige Werkstattbesuche vermeiden möchte. Anders wussten sich die Gemeinden offenbar nicht zu helfen, um die Autofahrer wirkungsvoll einzubremsen.
Und zweitens ist der allgemeine Zustand italienischer Straßen eher lausig. V. und G., meine ehemaligen Kollegen, haben mich erst vor kurzem besucht und sich bitter über die FI-PI-LI beschwert. Das ist eine Schnellstraße, die Florenz mit Pisa und Livorno verbindet und damit eine der wichtigsten Verkehrsachsen der Toskana ist. Mal abgesehen von den Autobahnen, die gebührenpflichtig, meist aber auch in relativ gutem Zustand sind, hat Italien offenbar ein grundsätzliches Problem, seine Infrastruktur in Schuss zu halten. Straßen werden scheinbar Ewigkeiten sich selbst überlassen und erst wenn der Zustand schon lange unhaltbar ist, wird notdürftig repariert und eine neue, dünne Asphaltdecke aufgetragen. Die hält dann auch tatsächlich bis zum nächsten, unvorhersehbaren Ereignis. Das kann zum Beispiel ein LKW sein, der die Straße benutzt oder auch ein etwas heftigerer Regenschauer.

Der italienische Zentralstaat hat sich mittlerweile weitgehend aus dem Unterhalt der Straßen zurückgezogen und die Kompetenz dahingehend den Regionen und Provinzen übertragen. Die bereits erwähnte Schnellstraße FI-PI-LI beispielsweise gehört der Region Toskana und führt ungefähr zur Hälfte durch florentinisches und zur anderen Hälfte durch pisanisches Gebiet. Die Region hat darum die Provinz Florenz beauftragt, sich um den Unterhalt der kompletten Verbindung zu kümmern. Tatsächlich ist auch eine Hälfte der FI-PI-LI in einem ganz ordentlichen Zustand, während die andere Hälfte die reinste Holperstrecke ist. Jetzt dürft Ihr mal raten, welche Hälfte die ordentliche und welche die holprige ist. Ist nicht schwer, oder?

Piazza Pitti

In den letzten Wochen habe ich mich nun, nach langem Überlegen, dazu durchgerungen, alle meine bisher verfassten E-Mails der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen. Sämtliche von mir verschickten Berichte sind unter dieser Internetadresse, die ihr ja offensichtlich gefunden habt, von nun an abruf- und sogar kommentierbar. Um den Datenschutz (auf neu-italienisch: privacy) der beteiligten Personen zu schützen, habe ich sämtliche Namen abgekürzt und auch die bisher genannten Namen meiner Arbeitgeber entfernt.

Die alten Beiträge habe ich genau den Tagen zugeordnet, an denen ich sie in den damaligen Mails verschickt habe. Es sind alle Beiträge verfügbar, die ich seit meiner Ankunft in Genua im Herbst 2003 erstellt habe. Sicherlich würde ich mit meinem heutigen Wissen einige Sachen nicht mehr so schreiben, wie ich es vielleicht vor einigen Jahren getan habe, aber dennoch habe ich davon abgesehen, irgendwelche Änderungen an meinen ursprünglichen Texten vorzunehmen.
Ihr, die Ihr bisher in meiner Mailing-Liste seid, um meine Texte zu erhalten, werdet diese vorläufig auch weiterhin in der gewohnten Form bekommen. Das soll Euch aber nicht abschrecken, trotzdem meinen Blog zu besuchen und dort Lob und Tadel zu hinterlassen.

Finale


Zum Ende schicke ich Euch ein paar sommerliche Grüße und die Ankündigung, im Sommer für ein paar Wochen nach Berlin zu kommen. Der große italienische Ferienmonat August ist nicht mehr weit und ich rechne daher nicht damit, noch vor September eine neue Arbeitsstelle anzutreten.
Sobald es wieder Neuigkeiten und Anekdoten gibt, werde ich Euch auf den neuesten Stand bringen.
Bis dahin einen schönen Sommer!


Saluti, Daniele

domenica 19 aprile 2009

Buonaparte

Cari amici,

vier Monate sind seit meinem letzten Lebenszeichen vergangen. Der Frühling ist angekommen, der Winter ist vorbei. Vor einigen Wochen brachte es mein italo-brasilianischer Arbeitskollege auf den Punkt, als er sich über den außergewöhnlich harten Winter beschwerte. Mehrere Male sah ich morgens Temperaturen von -3°C auf dem Thermometer, das hatte ich bisher in Italien nicht erlebt. Und dennoch: zum ersten Mal seitdem ich in Italien lebe (und da schließe ich auch meine Erasmuszeit in Genua mit ein), habe ich nicht frieren müssen. Mein Haus in Cerreto Guidi hat eine vorzüglich funktionierende Gasheizung und solange die Russen nicht den Gashahn zudrehen, werde ich wohlige Wärme auch im schlimmsten Winter haben.
Aber, wie gesagt, der Winter ist vorbei und der Sommer naht. Seit drei Wochen gilt auch hier die Sommerzeit und man kann immer wieder den Sonnenuntergang hinter Cerreto Guidi beobachten. Und zum Thema Sommerzeit passt dann gleich noch ein netter italienischer Spruch, den ich im Internet aufgeschnappt habe. In Italien heißt die Sommerzeit ora legale (gesetzliche Stunde) und mit dem Begriff spielt dann auch der Witz: Scatta l'ora legale, panico tra i politici - Die Stunde des Gesetzes ist gekommen: Panik unter den Politikern.

Erdbeben

Wie Ihr alle aus den Nachrichten entnommen habt, wurde die mittel-süditalienische Region Abbruzzen vor zwei Wochen von einem Erdbeben erschüttert. Und wie ich bei einem gleichzeitigen Besuch in Deutschland mitbekommen habe, hat sich die Bildzeitung gleich der Frage gewidmet, ob man nun auch problemlos seinen Italien-Urlaub stornieren kann.
Also zur Beruhigung aller, das Erdbeben war zwar schrecklich, aber es liegt nicht das ganze Land in Trümmern, sondern, schlimm genug, nur ein relativ kleines Gebiet rund um die Stadt L'Aquila. Nach den letzten offiziellen Meldungen gab es in 49 Gemeinden Schäden mit 294 Toten. Nach seriösen Schätzungen, hätte das Erdbeben tagsüber verheerendere Ausmaße haben können, wenn einige Schulgebäude geöffnet gewesen wären. Bereits 2002 ist bei einem Erdbeben in einer Nachbarregion eine Schulklasse unter den Trümmern der Schule begraben worden. Umso wütender wird heute von vielen Betroffenen als auch von anderen Italienern die Frage gestellt, wie es zum Zusammenbruch relativ junger Gebäude bei einem nur mittelstarken Erdbeben kommen konnte. Die Antwort liegt auf der Hand: die Baugesetze wurden ignoriert, die Gebäude mit minderwertigen und unzureichenden Materialien errichtet. Es ist letztlich immer wieder das Problem, dass die Sicherheit oft zu teuer ist und daher ignoriert wird. Das merkt man nicht nur bei Erdbeben, sondern auch an den regelmäßigen Meldungen über Todesfälle bei Arbeitsunfällen. Um die Unternehmen in der derzeitigen Krise zu entlasten, hat die Regierung erst vor kurzem die Kontrollen gelockert, die die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften in den Unternehmen in Sachen Arbeitssicherheit überprüfen sollen. Die Verbindung solch einer Politik mit den Auswirkungen des Erdbebens werden in der Öffentlichkeit leider nur selten gezogen.
Stattdessen werden kritische Stimmen angegriffen. Nach der Anwendung der Gesetze bei der Errichtung der Gebäude zu fragen, gilt als kleinlich und würde den Opfern auch nicht mehr helfen. Zu dem bereits angedeuteten Antikrisenpaket gehört auch ein Gesetz, dass es Immobilienbesitzern ermöglicht, Ihre Immobilien ohne langwierige Genehmigungsverfahren um 20% zu vergrößern. Als ein Karikaturist in der Rai-Sendung annozero eine Karikatur zeigte, in der dem neuen Gesetz entsprechend auch eine Zunahme der zukünftigen Zahl an Erdbebenopfern um 20% vorausgesagt wurde, wurde er von der Rai aus der Sendung entfernt. Seine Karikatur wäre geschmacklos und würde die Opfer verhöhnen.

Sinngemäß: Überschrift: „Mehr Kubikmeter“ Antwort: „auf den Friedhöfen“
Da ich in der Toskana auch in einer nicht völlig ungefährdeten Region lebe, bleibt mir nur die Hoffnung, dass die hiesigen Bauten verantwortungsvoller errichtet worden sind. Im Allgemeinen nimmt man an, dass die Gesetze im Norden eher Anwendung finden als im Süden, wozu auch die Abrruzzen zählen.
Im Jahr 1846 gab es das „Erdbeben von Fauglia“, nur einige Kilometer von Pieve di Santa Luce entfernt, wo ich noch bis zum letzten Sommer gelebt habe. Der Nachbarort von Pieve, Orciano Pisano, wurde damals zerstört und allein in diesem Dorf gab es laut Wikipedia 19 Tote. Wie sich das damalige Beben auf Pieve auswirkte, konnte ich nur ansatzweise herausfinden. Der Einsturz der Pieve (der örtlichen Kirche), die anschließend wiederaufgebaut wurde, deutet daraufhin, dass auch Pieve nicht ganz glimpflich davon gekommen war.
Das letzte größere Erdbeben in der Toskana gab es 1984. Ein Seebeben vor der Küste von Livorno und Pisa, dessen Auswirkungen an Land zu drei Todesopfern und einigen beschädigten Gebäuden führten. In Umbrien (Nachbarregion der Toskana) gab es 1997 ein schweres Erdbeben, dass elf Menschenleben kostete und die berühmte Basilika des heiligen Franziskus in Assisi schwer beschädigte.

Die Karte zeigt, wie sich das Erdbebenrisiko auf Italien verteilt

Nachbarn

Nicht nur im Zusammenhang mit dem Erdbeben häufen sich seit einigen Monaten die allseits bekannten Ausrutscher Berlusconis. Ob er den Erdbebenopfern im Interview mit einem deutschen Sender (nicht aber mit einem italienischen!) mehr Zweckoptimismus empfiehlt, Obama als jung, schön und braungebrannt bezeichnet, sich nach dem Gruppenfoto mit der Queen lauthals in den Mittelpunkt stellt oder Merkel auf dem roten Teppich warten lässt: alle Welt fragt sich, was ihn veranlasst, sich ständig überall auf diese Weise unmöglich und lächerlich zu machen. Meine Theorie ist, dass alle diese Ausrutscher kein Zufall sind sondern von Anfang bis Ende durchgeplant sind. Die internationale Presse stürzt sich, wie schon bei den diversen Prozessen, auf ihn. Die heimische Presse hingegen hat er soweit im Griff. Also erscheinen dem Mann von der Straße (auf italienisch gibt es keinen „kleinen Mann“ sondern den uomo della strada) die Angriffe auf Berlusconi als Angriffe aus dem bösen Ausland und automatisch solidarisiert sich ein nicht unwesentlicher Teil der italienischen Wählerschaft mit dem Ministerpräsidenten.
Dazu muss man wissen, dass die italienische Mentalität von einem latenten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den europäischen Nachbarn gekennzeichnet ist. Schon das 1847 entstandene Lied Fratelli d'Italia, das hundert Jahre später zur Nationalhymne wurde, enthält eine vielsagende Textzeile: noi siamo da secoli calpesti, derisi – seit Jahrhunderten werden wir getreten und verlacht. Das Trauma wurde bestätigt, als die italienische Einigung nur mit militärischer Hilfe durch Frankreich (und später Preußen) durchgesetzt wurde. Als nächstes fühlte sich das im ersten Weltkrieg auf der Siegerseite stehende Italien von seinen Alliierten (unter anderem Frankreich...) zurückgesetzt und um die Früchte des Sieges gebracht: man hatte sich doch mehr erhofft, wurde aber offenbar nicht ernst genommen.
Auch heute noch wird Italien, seien wir mal ehrlich, nicht wirklich ernst genommen. Viele Leute, die Italien lieben, tun es häufig so, wie man kleine Kinder, die Quatsch machen, niedlich findet. Umgekehrt ist es wohl auch so, dass von denjenigen, denen Italien zu unordentlich und chaotisch ist, viele der Typ sind, der sich über Lärm auf Spielplätzen beschwert, also verbiesterte Unsympathen sind. Im Zweifelsfalle sind mir die ersten natürlich lieber, aber dennoch ist diese Liebe eher die Liebe zu einem nicht vorhandenen Klischeeitalien als zu dem Land, welches Italien heute tatsächlich ist.
Dass Italien eben doch ein führendes Industrieland ist, wird außerhalb Italiens nur am Rande zur Kenntnis genommen, umso größer ist die Befriedigung für die Italiener, wenn man es den Schnöseln im Ausland mal zeigen kann. Als alter Autofreak fällt mir da gleich ein aktuelles Beispiel ein: die sich abzeichnende Übernahme von Chrysler durch Fiat auf eine ziemlich gewitzt-intelligente Art und Weise hat in Italien viel Beifall gefunden. Selbst, wenn das Projekt scheitern sollte, hat Italien damit gezeigt, dass das Land nicht voreilig abgeschrieben werden sollte.
Also mal ein paar Zeilen zum Image der zwei großen europäischen Nachbarn. Ganz besonders das Verhältnis zu den Franzosen ist sehr ambivalent. Auf der einen Seite sieht man sich als Verwandte mit gemeinsamen Ursprüngen und ähnlicher Mentalität. Gegenüber den Barbaren aus dem europäischen Norden wissen sowohl Italiener als auch Franzosen etwas mit einem Bidet anzufangen. Und gerade wegen der Ähnlichkeit sieht man sich in einem ständigen Wettkampf mit den „Cousins jenseits der Alpen“ (so werden die Franzosen oft genannt). Manch Italiener hat einen unverhohlenen Hass auf die Franzosen entwickelt, der wohl aus einem unterdrückten Neid gespeist wird. Während die Franzosen ihre Revolution feierten, einen Napoléon hatten und zu einer Großmacht aufstiegen, blieb den Italienern nur die Erinnerung an das glorreiche Rom. Wahrscheinlich ist es diese unterschiedlich verlaufene Geschichte, die die Franzosen in den Augen der Italiener zu herablassenden Nationalisten macht.
Und wie sieht es nun mit den Deutschen aus? Schon mehrfach ist mir eine Art positiver Rassismus aufgefallen, dem ich als Deutscher ausgesetzt bin. Während sich die Italiener bei Ihren Landsleuten immer mehrfach absichern, wird mir ein Vertrauensvorschuss entgegengebracht. Wie hier allgemein bekannt ist, betrügen Deutsche nicht, sie lügen nicht und handeln rational. Natürlich können Sie auch sehr böse werden, wie man im letzten Krieg gemerkt hat und deshalb sind den Italienern die Deutschen am Ende irgendwie doch unheimlich. So richtig kann man sie nicht einschätzen, also verlässt man sich auf die Vorurteile, die schon stimmen werden. Ein wenig verwirrt sind sie dann, wenn sie einen Deutschen vor sich haben, der freiwillig ein kleines italienisches Auto fährt und lieber Wein als Bier trinkt. Aber da die Deutschen eben ein völlig anderes (barbarisches) Volk sind, machen sich die Italiener da auch nicht zu viele Gedanken. Und ich als in Italien lebender Deutscher genieße auch eine gewisse Narrenfreiheit, da ich ja zu einem merkwürdigen und im Grunde völlig fremden Volk gehöre. Von mir wird nicht erwartet, dass ich mich wie ein Italiener verhalte. Vor allem was das Privat- und Familienleben angeht.
Außerdem nimmt man den Deutschen die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit nicht übel. Die Deutschen sind halt anders, an denen braucht man sich nicht zu messen. Und da sie so anders und tumb sind, kann man über die Deutschen ja auch mal lachen.
Bisher war das alles nur eine von mir entwickelte Theorie, die auf einzelnen Indizien basiert. Vor allem hinsichtlich des Konkurrenzgefühls gegenüber den Franzosen und der relativen Gleichgültigkeit gegenüber den Deutschen. Vor einigen Wochen fand ich endlich in einem Absatz die Bestätigung, das meine Theorie nicht völliger Humbug ist. Der Chefredakteur der Autozeitung Quattroruote hat in seinem Leitartikel der Märzausgabe folgende Sätze niedergeschrieben: „Ich habe den Eindruck, dass unsere französischen Cousins, die schon immer unser Maßstab sind (die deutschen Panzer kommen von einem anderen Stern), stärker von der Großen Depression betroffen sind als wir.“ Im folgenden listet er die Erfolge der italienischen Abwrackprämie im Vergleich zur französischen auf und wie Fiat der Krise trotzt, während die französischen Hersteller in der Krise stecken.
Natürlich vergleicht man sich auch gelegentlich mit den Deutschen, aber das eigentlich nur aus zwei Gründen: erstens, wenn man in irgendeinem Punkt etwas besser macht. Zweitens, wenn die jeweilige Opposition der jeweiligen Regierung ihre Misserfolge vorhält und das Vorbild Deutschland nennt. Wobei da auch noch unerreichbarere Beispiele wie die Niederlande, Dänemark oder gar Schweden herhalten müssen.

ANGELA über alles: aus Anlass der Nürnberger Spielwarenmesse präsentiert der italienische Modellautohersteller BRUMM einen Fiat 500 zu Ehren des Gastgeberlandes

San Miniato

Was hatten die Franzosen? Einen Napoléon? Das habt Ihr einfach so hingenommen? Da könnt Ihr mal sehen, wie weit es die französische Propaganda gebracht hat. Selbst die Italiener glauben, dass Napoléon, Spross eines toskanischen Adelsgeschlechts, Franzose war.
Napoleone Buonaparte, so der Geburtsname des größten italienischen Feldherrn seit Giulio Cesare, wurde 1769 auf der Insel Korsika geboren, die ein Jahr zuvor von der Republik Genua an Frankreich verkauft wurde.
Die Familie Buonaparte selbst war ungefähr zweihundert Jahre zuvor aus der Toskana nach Korsika gezogen, nämlich aus San Miniato. San Miniato liegt einige Kilometer von Cerreto Guidi entfernt auf einem Hügel südlich des Arno. Bereits seit Jahrhunderten hatte es aufgrund seiner strategischen Position an Bedeutung gewonnen. Mehrere deutsche Herrscher (Otto I., Friedrich II., Barbarossa) haben in San Miniato Spuren hinterlassen und es wurde zu einer wichtigen Zwischenstation für deutsche Pilgerer, die auf dem Frankenweg nach Rom unterwegs waren. So wichtig, dass San Miniato für Jahrhunderte den Beinamen al tedesco führte: also in etwa „San Miniato (deutsch)“.
Zurück zu Napoleone. Erst in seiner Jugend fällte er die Entscheidung, seinen Namen zu französisieren, weil er den Eindruck hatte, sein italienischer Name könnte ihm hinderlich sein, wenn er in französischen Diensten Karriere machen wollte. So nannte er sich also fortan Napoléon Bonaparte und began seine steile Karriere. Nach den militärischen Operationen zur Verteidigung der Revolution führte ihn schließlich sein erster Feldzug außerhalb Frankreichs nach... Italien.
Bereits während des italienischen Feldzugs begann Napoléon mit den Kunstraubaktionen, die er später in ganz Europa durchführte. Man denke an die Quadriga des Brandenburger Tors, die erst nach der Niederlage Napoléons wieder nach Berlin zurückgeführt wurde. Und genau auf diese Raubzüge spielt eine schöne italienische Anekdote an. Bevor ich sie zum Besten gebe, muss ich noch mal auf seinen ursprünglichen Nachnamen Buonaparte zurückkommen, unter dem Napoléon bis heute in Italien bekannt ist. Una buona parte bedeutet ins deutsche übersetzt „ein großer Teil“. Der Name Buonaparte also Großteil.
Es soll sich vor Mailand zugetragen haben, dass Napoléon einen verbitterten, geschlagenen Italiener gefragt hat: „Sind denn wirklich alle Franzosen Mörder und Räuber?“ Die Antwort des Italieners: Tutti no, ma Buonaparte sì. - Alle nicht, aber der Großteil schon.
Sehr schön, oder?
Während sein Vater Carlo Buonaparte San Miniato einmal besuchte, um Unterlagen zu sammeln, die die adlige Herkunft der Familie Buonaparte bewiesen, hatte es den Sohn während des Italienfeldzuges auch einmal nach San Miniato verschlagen. Im dortigen Wohnhaus seines Onkels, der nicht auf Korsika wohnte, hielt er einmal Kriegsrat.

Blick auf und von San Miniato
Ein ganz anderes Kriegsdrama spielte sich 1944 in San Miniato ab. Die deutschen Besatzungstruppen hatten einen großen Teil der Einwohnerschaft in den Dom von San Miniato versammeln lassen, als eine Bombe einschlug und sechzig Todesopfer zu verzeichnen waren.
Die folgende Gedenktafel wurde am zehnten Jahrestag des Masskers am Rathaus angebracht.


Der Text der Gedenktafel erinnert an das Massaker, das laut Text von den deutschen Truppen verübt worden war. Das Massakers sei von einer Armee verübt worden, die aufgrund ihrer Feindschaft gegenüber jeder Freiheit, unfähig zum Sieg war. Ein schöner Satz.
Und trotz der Wut, Trauer und Verbitterung findet sich auf dieser Gedenktafel noch ein Satz und das nur zehn Jahre nach Kriegsende: „Italiener, die ihr das lest, vergebt, aber vergesst nicht.“ Und weiter unten: „Denkt daran, dass die ewige Zivilisation nur im Frieden und in der Arbeit lebt“.


Noch einmal 54 Jahre später hat die Gemeinde im Juli letzten Jahres neben der ersten Gedenktafel eine weitere angebracht. Neuere Forschungen hatten ergeben, dass der Dom von einer amerikanischen Bombe getroffen wurde und dass an diesem Verbrechen die Deutschen einmal nicht schuldig waren.
Statt nun einfach die erste Tafel verschwinden zu lassen, hat sich die Gemeinde aber entschlossen, die Größe zu haben und mit dem Fehler zu leben und ihn in einer weiteren Gedenktafel zu erläutern. Die Tafel weist auf den Fehler hin, erklärt die Herkunft der Bombe, aber auch die ursächliche Kriegsschuld der Deutschen und die Komplizenschaft der italienischen Faschisten. Sie endet mit der Schlussfolgerung, die die Väter der italienischen Verfassung im Artikel 11 manifestierten: „Italien lehnt den Krieg ab.“
Ministerpräsident Silvio Berlusconi meinte im Januar, dass die italienische Verfassung (die ihm nicht genug Macht in die Hand gibt) sowjetisch inspiriert sei.

Finale

Wenn man diese Erinnerungen hoch holt, kann man vielleicht wirklich sagen, dass Europa aus der Vergangenheit gelernt hat. Und ich habe es versäumt, den Termin einzuhalten, bis zu dem ich mich in meiner Gemeinde in die Wählerliste eintragen lassen konnte, um an den Europawahlen (für die italienischen Abgeordneten) teilzunehmen.
Und dass, obwohl ich Europa täglich lebe... Schande über mich.

Daniele