domenica 23 novembre 2014

finalmente cittadino!

Cari amici,
 
nein, liebe Italienischversteher, ich habe noch immer nicht die italienische Staatsbürgerschaft. Cittadino bedeutet nicht nur „Bürger“, sondern auch „Städter“. Nach jahrelangen Experimenten habe ich nun endlich wieder den Weg zurück in die Großstadt gefunden. Noch dazu wieder eine, die mit B beginnt!

Wie in Berlin, steht auch in Bologna ein Neptunbrunnen vor dem Rathaus
Nach den toskanischen Jahren, hatte ich in Cento endlich die angestrebte wirtschaftliche Stabilität und Prosperität gefunden. Aber nach drei Jahren war das kleine Cento nun wirklich ausgelutscht und es war wieder mal Zeit für einen Tapetenwechsel. Schon seit längerer Zeit spukte der Gedanke in meinem Kopf herum, wieder in eine Großstadt zu ziehen. Und nachdem ich Bologna in immer häufigeren Besuchen nicht nur kennen- sondern auch liebengelernt hatte, war die Entscheidung nur folgerichtig, wieder einmal einen Umzug zu unternehmen. Rein theoretisch gibt es in der Nähe von Cento noch zwei weitere Alternativen, die mich allerdings nicht wirklich in ihren Bann ziehen konnten: Ferrara und Modena.


Dieser brandneue Song der Wiener Band „Wanda“ ist genau im richtigen Moment erschienen, um meinen Umzug nach Bologna zu vertonen. „Bologna, meine Stadt“ drückt ziemlich gut das Hochgefühl aus, dass ich habe, seit ich in dieser tollen Stadt wohne.
Es gab zwei Gründe, die mich für längere Zeit davon abgehalten hatten, die Bologna-Idee auch umzusetzen: die höheren Kosten (die Mieten in Bologna sind etwas höher und die Fahrtkosten machen sich bemerkbar, zumal es in Italien keine Pendlerpauschale gibt) und der längere Arbeitsweg (von meiner Wohnung in Cento brauchte ich zehn Minuten zum Büro, jetzt ist es eine dreiviertel Stunde). Mit den Kosten kann ich mich arrangieren und mit dem Arbeitsweg komme ich auch klar. Die Sehnsucht nach den Möglichkeiten, die eine Großstadt bietet, war letztendlich stärker und hat mich überzeugt, die Nachteile in Kauf zu nehmen.
 
Blick auf Bologna vom Torre Asinelli
Nahezu alle meine Bekannten in Cento zeigten sich hingegen entsetzt, dass jemand den „weiten“ Weg nach Bologna (knapp über 30 km) täglich beschreiten würde. Bis heute sind einige davon überzeugt, dass ich das nicht auf Dauer durchhalten würde und schon bald reumütig zurückkehren würde. Es ist doch erstaunlich, wie unterschiedlich die Maßstäbe sind. Für mich waren die kurzen Wege in Cento in meinem bisherigen Leben eher die Ausnahme, eine angenehme zugegebenermaßen. Aber daher wusste ich, dass die Umstellung auf 45 Minuten Arbeitsweg kein Hindernis sein würde. Für viele Centesen sind solche Arbeitswege offenbar sehr ungewöhnlich. Und für einige ist es dazu noch unvorstellbar, in einer Großstadt, in einem riesigen Moloch sozusagen, zu leben. Ein Bekannter erzählte mir sogar, dass er auch einmal so eine Erfahrung gemacht hatte, aber mit den vielen Menschen hielt er es auf Dauer nicht aus. Auf Nachfrage kam dann raus, dass er noch nichtmal das Großstadtleben meinte, sondern dass er mal in einem Mehrfamilienhaus gelebt hatte.
Das Leben in Cento ist ja auch nicht schlecht, aber ich fand es auf Dauer doch etwas langweilig. Die Menschen sind nett, haben aber leider mitunter nur den Horizont von Kleinstädtern. Hinzu kommt, dass es als Fremder schwierig ist, sich in ein Kleinstadtleben zu integrieren, wo sich alle von kleinauf kennen. Ich könnte mich auch noch über den kulturellen Niedergang nach dem Erdbeben auslassen: das Theater ist geschlossen, der Karneval auf Eis gelegt und manchmal scheint es, dass die lokale Dialektpflege zum kulturellen Höhepunkt avanciert ist. Ok, jetzt wird es etwas ungerecht, die Stadt bemüht sich durchaus, einige Sachen auf die Beine zu stellen. Aber es hilft ja nichts: gegen die Großstadt hat die Kleinstadt für mich immer das Nachsehen. Nach all den Jahres ist das mein persönliches Fazit.
Also Bologna. Mein Wunschziel. Endlich. Bologna hatte mich schon immer fasziniert. Als ich vor fast zwölf Jahren (oh mein Gott!) für mein Erasmusjahr nach Italien wollte, war Bologna meine erste Wahl. Voller Geschichte, aber dennoch jung, lebendig, offen. So stellte ich mir Bologna vor, ohne jemals dagewesen zu sein. Aufgrund verschiedener Umstände klappte es damals nicht mit Bologna und als Alternative fand ich dann den Weg nach Genua, was ja auch sehr schön war.
Als ich dann im Sommer 2010 bei einer bayerischen Firma zum Vorstellungsgespräch zu Gast war und vom neuen Büro in Cento hörte, fand ich vor allem die Nähe zu Bologna verlockend. So verlockend, dass ich dann doch in Italien weitermachen wollte, denn eigentlich stand damals schon die Rückkehr nach Berlin auf dem Programm. Einige Wochen später war ich dann endlich zum ersten Mal in Bologna. Mit meinen zukünftigen Chefs saß ich in einem teuren Restaurant, wo Herr K., mein neuer Arbeitgeber, das Glas erhob und mich in der Firma willkommen hieß. Herr K. übrigens weilte bei diesem wie bei allen anderen Besuchen in einem Hotel in Bologna, nicht etwa in Cento.
Vorher kannte ich Bologna eher aus Geschichtsbüchern: Heimat der ersten Universität Europas (gegründet 1088), die erste Gemeinde, die 1256 die Leibeigenschaft aufgehoben hatte, Schauplatz von Italiens schwerstem Terroranschlag (1980). Ich weiß nicht, wie ich zu meiner Vorstellung kam, dass Bologna eine lebendige und offene Stadt sei, aber ausgedacht hatte ich mir das sicher nicht. Vielleicht hatte ich das in irgendwelchen Reportagen oder Erzählungen aufgeschnappt, aber irgendwie hatte ich zu Bologna immer positive Assoziationen. Und ich bin ja nicht der einzige. Italienweit hat Bologna den Ruf, eine liberale, reiche, bürgernahe, linke, lebendige und lebenswerte Stadt zu sein. Ein Beispiel: obwohl deutlich kleiner als Mailand und Rom, ist Bologna die erste italienische Stadt, in der sich ein schwullesbisches Leben entfalten konnte. Nach wie vor ist Bologna in dieser Hinsicht bedeutend. Vor einigen Wochen beispielsweise fand das Filmfestival GenderBender statt. Einige Filmvorführungen habe ich auch besucht und falls Ihr mal Lust auf Kino habt, kann ich Euch beispielsweise den schweizerischen Beitrag „Der Kreis“ oder „Pride“ aus England empfehlen.

Anfang Oktober auf einer Demo gegen Homophobie
Und wo wir bei bewegten Bilder sind, kommt mir gleich noch eine andere Erinnerung in den Sinn. Bologna war für mich auch immer die Stadt des ispettore Coliandro, dem Held einer erfrischend anderen Fernsehserie, die von 2004 bis 2010 produziert wurde und in Bologna spielte. Coliandro löst seine Fälle immer mit viel Glück und trotz seines Unvermögens. Und obwohl er niemals eine bella figura macht, ist er trotzdem und mit all seinen Schwächen ziemlich figo, was man am ehesten mit cool übersetzen könnte. Da es Coliandro niemals ins deutsche Fernsehen geschafft hat, werdet Ihr leider nicht die Gelegenheit haben, meine Begeisterung für ihn zu verstehen. Auf der anderen Seite werden hier stattdessen deutsche Perlen wie „Sturm der Liebe“ oder „Alarm für Cobra 11“ zur Prime-Time gezeigt.
Was soll ich sonst noch zu Bologna sagen? Erstaunlicherweise gehen die Touristenströme an Bologna fast komplett vorbei. Dabei hat Bologna alles, was ein Tourist suchen würde: eine wunderschöne Altstadt, die auch noch zum großen Teil verkehrsberuhigt ist, eine herausragende Küche, Nachtleben, Museen und schließlich die allgegenwärtigen Arkaden, unter denen man auch bei Dauerregen oder knallender Sonne entspannt shoppen kann. Aber mir soll's nur recht sein. Sollen die Touristen nur alle Venedig und Florenz verstopfen, umso entspannter lebt es sich in Bologna: letztes Jahr war Bologna auf Platz drei im italienischen Lebensqualitätsvergleich, in einigen Wochen müsste die neue Statistik herauskommen. Wir werden sehen, ob sich meine Ankunft positiv oder negativ niederschlägt.

Piazza Santo Stefano – hier verirren sich dann doch mal einige Touristen her
Bologna zieht statt der Touristen eher junge Leute aus ganz Italien an, die zum Studium hierher kommen. Und dieser ständige Zufluss und Austauch bereichert die Stadt nachhaltig und trägt dazu bei, dass in der Stadt diese offene Atmosphäre herrscht. Ähnlich wie Berlin würde ich sagen. Beide Städte profitieren sehr stark von den Zugezogenen. In Bologna habe ich das Gefühl, ich würde sagen, zum ersten Mal seit ich in Italien bin, nicht in erster Linie ein Ausländer zu sein. Und vielleicht werde ich ja mit dieser neuen Erfahrung doch noch darüber nachdenken, die Anträge einzureichen, um ein richtiger cittadino italiano zu werden.

Saluti
Daniele