“Un
bel giorno nacque questa democrazia, che a farle i complimenti ci
vuole fantasia.“
„Und
eines schönen Tages wurde diese Demokratie geboren. Um ihr Komplimente zu
machen, braucht es Fantasie."
Giorgio
Gaber
Cari
amici,
schon vor zehn Jahren, kurz vor seinem Tode, hat der Mailänder Liedermacher Giorgio Gaber dem weitverbreiteten Unbehagen über das politische System der italienischen Republik mit dem Lied “io non mi sento italiano“ (ich fühle mich nicht italienisch) ein musikalisches Denkmal gesetzt.
“Mi
scusi Presidente
ma
questo nostro Stato
che
voi rappresentate
mi sembra un po' sfasciato.
E' anche troppo chiaro
agli occhi della gente
che tutto è calcolato
e non funziona niente.
Sarà che gli italiani
per lunga tradizione
son troppo appassionati
di ogni discussione.
Persino in parlamento
c'è un'aria incandescente
si scannano su tutto
e poi non cambia niente.“
„Verzeihung, Herr Präsident
aber dieser unser Staat,
den Ihr repräsentiert,
scheint mir etwas zertrümmert.
Es liegt auch für
jedermann auf der Hand,
dass alles nur berechnet ist
und dabei nichts funktioniert.
Vielleicht sind die Italiener
aus langer Tradition
viel zu leidenschaftlich
bei jeder Diskussion dabei.
Selbst im Parlament
herrscht eine hitzige Atmosphäre,
sie zerfleischen sich wegen allem
und dann ändert sich nichts.“
mi sembra un po' sfasciato.
E' anche troppo chiaro
agli occhi della gente
che tutto è calcolato
e non funziona niente.
Sarà che gli italiani
per lunga tradizione
son troppo appassionati
di ogni discussione.
Persino in parlamento
c'è un'aria incandescente
si scannano su tutto
e poi non cambia niente.“
„Verzeihung, Herr Präsident
aber dieser unser Staat,
den Ihr repräsentiert,
scheint mir etwas zertrümmert.
Es liegt auch für
jedermann auf der Hand,
dass alles nur berechnet ist
und dabei nichts funktioniert.
Vielleicht sind die Italiener
aus langer Tradition
viel zu leidenschaftlich
bei jeder Diskussion dabei.
Selbst im Parlament
herrscht eine hitzige Atmosphäre,
sie zerfleischen sich wegen allem
und dann ändert sich nichts.“
Sicherlich
habt ihr davon gelesen und gehört: vor zwei Wochen hat Italien
gewählt. Mit großem Befremden habe ich die Reaktionen der deutschen
Politik und die Berichte aus den deutschen Medien auf das Phänomen
Beppe Grillo aufgenommen. Bei gewissen Berichten deutscher
Korrespondenten in Italien frage ich mich immer öfter, ob die
Autoren dieser Artikel wirklich in Italien sind. Ob sie wirklich aus
dem gleichen Land berichten, in dem ich nun seit sechseinhalb Jahren
lebe. Oftmals zeugen diese Berichte von einer Oberflächlichkeit und
Unkenntnis, die wirklich erschütternd ist. Es gibt auch positive
Ausnahmen, aber leider nicht viele. Vielleicht meinen die
Korrespondenten, es wäre ausreichend, sich mit ausgewählten
italienischen Journalisten und vermeintlich linken Politikern zu
unterhalten, um die italienische Wirklichkeit zu verstehen und
anschließend beurteilen zu können.
Ich
seh das alles irgendwie anders. Und da ich Euer Mann vor Ort bin,
lasse ich Euch nun auch wissen, wie ich die Sache sehe. Ich bin auch
hochmütig genug, zu behaupten, ich könne viele Sachen besser
verstehen als viele der Kollegen Korrespondenten. Immerhin lebe ich
komplett im System Italien und berühre es nicht nur von außen. Das
Wahlergebnis ist in meinen Augen eine einmalige Chance, viele Dinge
in Italien zum Besseren zu ändern.
La casta
La casta
Im Jahre 2007 erschien in Italien ein Sachbuch, das ausführlich das von Korruption, Vetternwirtschaft und Ausplünderung durch die politische Klasse beherrschte System beschreibt. Der Titel des Buches, das sofort zu einem Bestseller avancierte, hat dieser politischen Klasse den wohlverdienten Namen gegeben: La casta – die Kaste.
Italien
wird beherrscht von einer Kaste machtbesessener Politiker, die ihre
einzige Aufgabe darin sehen, sich den einmal erkämpften Zugang zu
Geld und Privilegien für möglichst lange zu sichern und sich
während dieser Zeit die Taschen möglichst voll zu stopfen. Im Buch
werden fortlaufend Beispiele genannt, aus denen zum Beispiel
hervorgeht, dass Italien sich pro Kopf ungefähr doppelt so viele
Abgeordnete leistet wie Deutschland und dass diese Abgeordnete dann
auch in etwa das Doppelte ihrer deutschen Kollegen verdienen. Die
Parteien, die dieses System beherrschen, haben dabei in den letzten
Jahrzehnten jedes Maß verloren und ein landesweites System von
Ämtern und Verwaltungen ausgebaut, dass vor allem dazu dient,
möglichst viele Freunde und Verwandte verdienter Parteigenossen mit
unnützen Posten zu versorgen. Grundsätzlich gilt den Parteien der
Staat nicht als Instrument der Steuerung der öffentlichen Sache,
sondern als Beute, die es maximal auszunutzen gilt.
So lange
es in Italien wirtschaftlich gut lief, wurde dieses System noch
toleriert. Doch mittlerweile leidet das Land unter einem seit Jahren
anhaltenden langsamen Niedergang, der von den verantwortungslosen
Politikern kaum wahrgenommen, geschweige denn bekämpft wird. Da aber
Verschwendung, Korruption, Bürokratie und Vetternwirtschaft nicht
eingedämmt werden, erhöht die Kaste in ihrer Ignoranz noch das
bestehende Problem. Der italienische Kuchen wird eher kleiner und die
Kaste will ein immer größeres Stück haben. Die Schulden- und
Steuerlast, die auf Italien lastet, wächst auch deshalb immer
weiter. Und mit jedem neuen Skandal, und davon habe ich ja selbst
schon einige beschrieben, der so gut wie nie zu Konsequenzen in Form
von Rücktritten oder gar Gesetzesänderungen führt, entfernt sich
die Kaste zudem noch ein Stück weiter vom Wähler.
Rücktritte
deutscher Politiker, wie zum Beispiel der von Christian Wulff, wurden
von vielen Italienern mit Bewunderung aufgenommen. Bewunderung
darüber, wie „wenig“ in Deutschland manchmal ausreicht, um zum
Rücktritt gezwungen zu werden. Natürlich herrscht dann auf der
italienischen Seite eine durchaus verklärte Sicht auf die deutsche
Politik und Zivilgesellschaft vor. Aber diejenigen in Deutschland,
die glauben, im Grunde sei doch in Deutschland die politische
Situation nicht anders, kennen nicht die italienischen Dimensionen.
Im Italienischen gibt es eine Redewendung, wonach ein Seil irgendwann
zerreißt, wenn man zu sehr daran zieht. Ähnlich wie der deutsche
Geduldsfaden. Offenbar fehlt nicht mehr viel, dann wird das Seil
reißen. Die Leute in Italien haben es satt, dass sie seit
Jahrzehnten immer die gleichen Gesichter präsentiert bekommen, die
nicht den kleinsten Finger rühren, um etwas für das Land zu tun,
sondern nur Scheindebatten führen, die nicht die Probleme des Landes
betreffen und dafür in einer Art und Weise abkassieren, die in der
westlichen Welt ihresgleichen sucht. Während reihenweise Unternehmen
schließen und die Arbeitslosigkeit ungebremst ansteigt, während die
Industrieproduktion sinkt und die Steuerlast steigt, diskutiert die
Politik Fragen, welche Rolle zukünftig der Staatspräsident spielen
solle oder überlegt ernsthaft, dass man am besten noch eine vierte
Berufungsinstanz einführen sollte. Das käme nämlich wiederum dem
Teil der Kaste entgegen, der in strafrechtliche Schwierigkeiten
geraten ist.
Partito democratico
Partito democratico
In deutschen Medien wird dann der Anschein erweckt, dass an alledem ja nur der böse Berlusconi Schuld sei. Dem ist aber nicht so. Es gibt ein parteiübergreifendes, stillschweigendes Einverständnis darüber, dass sich möglichst nichts ändern soll. So ist zum Beispiel nie ein lange gefordertes Gesetz zum Interessenkonflikt verabschiedet worden. Auch dann nicht, als Mitte-Links an der Macht war. Der Grund ist ziemlich einfach. Ein solches Gesetz würde ja nicht nur Berlusconi treffen, sondern auch alle anderen Politiker, die gleichzeitig mehrere Positionen innehaben, deren Interessen sich widersprechen. Und dieses Problem ist tatsächlich nicht nur ein italienisches.
Die
Rolle des Partito Democratico
(PD, die „Demokratische Partei“, die in Deutschland gern als
sozialdemokratisch bezeichnet wird) ist in diesem Zusammenhang extrem
zweifelhaft. Auf der einen Seite präsentiert sie sich als
Reformkraft, die gewillt ist, Italien zu modernisieren, zu
demokratisieren und für soziale Gerechtigkeit einzutreten. Auf der
anderen Seite tut sie nichts, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Und
manchmal tut sie noch das genaue Gegenteil. Als Mitte-Links von
2006-2008 an der Macht war, wurden sogleich die Stellen in der Spitze
des öffentlichen Rundfunks RAI mit ergebenen Leuten besetzt. Was
Berlusconi einige Jahre vorher vorgeworfen wurde, wurde unter anderen
Vorzeichen wiederholt. Eine Begründung dafür habe ich persönlich
von einer PD-Aktivisten erhalten: „Das haben die anderen doch auch
gemacht!“ Und genau nach dem Motto entsteht ein Wettbewerb nach
unten. Negative Aspekte der Gegenseite werden nicht etwa präsentiert,
um es besser zu machen und den Gegner alt aussehen zu lassen. Nein,
sie werden als Begründung genutzt, um es genauso zu machen.
Und
es zeigte sich auch gerade während der Mitte-Links-Regierung unter
Prodi, wie wenig man sich um demokratische und rechtsstaatliche
Grundsätze kümmerte. Darüber habe ich bereits vor fünfeinhalb
Jahren geschrieben (klick!).
Ich erinnere: der Angriff auf Rechsstaat und Meinungsfreiheit kam
damals aus den Reihen der (Vorgängerpartei der) PD.
Im
Jahre 2005 hat die Mitte-Rechts-Koalition ein neues Wahlgesetz
erlassen, dass von der Opposition aufs Schärfste kritisiert wurde.
In Italien wird das Gesetz Porcellum
genannt, weil sein eigener Verfasser, der Lega-Nord-Politiker Roberto
Calderoli, es als porcata (Schweinerei)
bezeichnet hatte. Durch dieses Wahlgesetz wurde festgelegt, dass 340
der 630 der Sitze im Unterhaus (Camera)
an die siegreiche Koaltion gehen. Koalitionen bilden sich in Italien
bereits vor den Wahlen und treten dann gemeinsam an.
Dank
dieser Situation hat Mitte-Links im neuen Unterhaus die absolute
Mehrheit, obwohl nur 29,5% der Wähler für diese Koalition gestimmt
haben. Übrigens ist Italien bei dieser Wahl nur äußerst knapp an
der Wiederauferstehung Berlusconis vorbeigeschrammt. Seine Koalition
hatte immerhin 29,2% der Stimmen. Nur 125.000 Stimmen trennen die
beiden Lager. Wäre die Vertreterin der deutschsprachigen Minderheit,
die Südtiroler Volkspartei, wie bei den Wahlen 2008, neutral
geblieben, hätte Berlusconi heute die Mehrheit in der Camera.
Aber die SVP hatte sich im Vorfeld der Wahl der Mitte-Links-Koalition
angeschlossen und knapp 147.000 Stimmen geholt.
Auf
eine kompliziertere Art und Weise werden vom Wahlgesetz die Sitze im
Oberhaus (Senato)
verteilt: jede Region hat eine bestimmte Zahl von Sitzen. Und die
relativ stärkste Koalition in einer Region bekommt die absolut
meisten Sitze, die der Region zustehen. Daher hat die PD nur in der
Camera eine Mehrheit,
nicht aber im Senato.
Die
merkwürdige „Mehrheitsprämie“ des Wahlgesetzes sollte für
regierungsfähige Mehrheiten sorgen, sie ist aber nur ein Aspekt
dieses Wahlgesetzes. Der andere Aspekt ist, dass das Wahlgesetz das
Konzept „Wahlkreis“ praktisch abgeschafft hat. Die Abgeordneten
werden von den Parteizentralen auf Listenverbindungen gesetzt, auf
die die lokalen Parteiverbände und die Wähler keinen Einfluss mehr
haben. Damit haben die Parteizentralen die Möglichkeit, unbequeme
Kandidaten auszuschließen und die anderen zu disziplinieren. Für
die Abgeordneten gibt es damit schließlich keine Motivation mehr,
sich vor Ort blicken zu lassen und sich mit ihren Wählern zu
beschäftigen.
Worauf
ich hinaus will: das Gesetz hat die Kastenbildung noch verstärkt,
führt zu zweifelhaften Zusammensetzungen des Parlaments und wurde
heftig von Mitte-Links kritisiert, solange Lippenbekenntnisse
ausreichten. In den Jahren der Prodi-Regierung 2006-2008 wurde dann
kein Finger gerührt, um etwas zu ändern. Es war der
Mitte-Links-Führung offensichtlich nur recht, dass sie die Posten
nach Belieben verteilen konnte, ohne auf irgendwen und irgendwas
Rücksicht nehmen zu müssen.
Und noch
ein weiteres Beispiel: in vagen Andeutungen bekennt sich die PD schon
seit längerer Zeit zum Abbau unnötiger Strukturen, welcher die
Staatskasse entlasten könnte. So gibt es schon seit längerer Zeit
den Vorschlag, die Provinzen aufzulösen und die Kompetenzen den
übergeordneten Regionen und den untergeordneten Gemeinden zu
übertragen, die das locker miterledigen könnten. Laut einigen
Berechnungen, die wahrscheinlich übertrieben optimistisch sind,
könnte man auf diese Art jährlich 17 Milliarden Euro einsparen. Im
Juli 2011 brachte eine kleinere Oppositionspartei diesen Vorschlag
auf die Tagesordnung und es bot sich die Mehrheit, eine entsprechende
Regelung durchzubringen. Berlusconi war dagegen, konnte sich aber
seiner eigenen Mehrheit nicht sicher sein. Wieder einmal zeigte die
PD ihr wahres Kasten-Gesicht, enthielt sich der Stimme und sicherte
so Berlusconis Regierung die Mehrheit. Grund: PDL
(Berlusconis-Partei), Lega Nord und PD brauchen die Provinzen, um
ihren Parteisoldaten gutbezahlte und arbeitsarme Ämter zu sichern.
Um es
kurz zusammenzufassen: bloß weil sich die PD „demokratisch“
nennt, heißt das noch lange nichts. Es gab auch mal eine „Deutsche
Demokratische Republik“, die ähnlich anmaßend mit diesem Attribut
umging. Die PD ist eine Partei, die bisher regelmäßig alle
Hoffnungen enttäuscht hat und ebenfalls regelmäßig in
Korruptionsfälle verwickelt ist. Sie ist lediglich das kleinere Übel
gegenüber Berlusconis Koalition. Beppe Grillo, zu dem ich gleich
kommen werde, gesteht ihr vermulich nicht einmal das zu. In
Anspielung auf Berlusconis PDL nennt er sie PDohneL. Meine
Einschätzung ist, dass die PD am Ende alles das macht, was auch
Berlusconis PDL macht, nur mit mehr Niveau und mit ein bisschen
schlechtem Gewissen, weil sie mitunter an ihre idealistische
Parteibasis denkt.
Beppe Grillo Teil 1
Beppe Grillo Teil 1
Aus den vielen Berichten, die nach der Wahl veröffentlich worden sind, kommt stark die Überraschung über das starke Abschneiden von Beppe Grillos neuer 5-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) zum Ausdruck. Dabei kommt der Erfolg Grillos überhaupt nicht überraschend. Die Verärgerung über das oben beschrieben politische System, dessen Protagonisten sich nur noch mit sich selbst und nicht mit den immer größeren Probleme des Landes beschäftigen, ist mittlerweile im Land so weit verbreitet, dass man schon blind oder taub sein muss, um das nicht wahrzunehmen. Daher auch meine Verwunderung über das Erstaunen unter den deutschen Journalisten.
Und genauso verwundert bin ich auch
über das Abkanzeln Beppe Grillos als Clown, Schreihals und
Populisten. Dabei gab es schon vor sieben Jahren Artikel in der
deutschen Presse, die das Phänomen Beppe Grillo ohne Vorurteile
beschrieben. Den entsprechenden Artikel habe ich in meinem ersten
Artikel über Beppe Grillo
(klick!)
bereits verlinkt, gern tue ich es noch einmal:
http://www.zeit.de/2006/04/Grillo
Beppe Grillo als Populisten zu
bezeichnen, deutet daraufhin, dass man seine Kenntnisse vor allem aus
den weitgehend gleichgeschalteten italienischen Medien bezieht, die
sehr eng mit der politischen Kaste verflochten sind. Besonders die
Politiker der PD und die mit ihr verbundenen Medien (La Repubblica
und L'Espresso oder
die entsprechenden RAI-Sendungen beispielsweise) haben es sich seit
dem Auftreten Beppe Grillos zur Aufgabe gemacht, dessen Bewegung zu
diskreditieren und ihr Populismus vorzuwerfen. Dabei hat Beppe Grillo
sehr konkrete und wichtige Projekte, für die er sich eingesetzt
hatte. Aber diese Projekte griffen eben die politische Kaste an.
Zweimal
hat Beppe Grillo einen V-Day veranstaltet, eine in mehreren Städten
gleichzeitig stattfindende Demonstration mit Unterschriftensammlung,
um das Parlament zu zwingen, sich mit den Vorschlägen Grillos zu
befassen. Wichtigster Teil der Vorschläge war 2007 die „Reinigung“
des Parlaments von rechtskräftig verurteilten Straftätern unter den
Abgeordneten. Dies ist ein speziell italienisches Phänomen, was in
keinem anderen europäischen Land denkbar ist. Zu einer Reihe
endgültig Verurteilter kommt noch eine hohe Zahl an Abgeordneten,
die bereits in ersten Instanzen verurteilt wurden, aber noch die letzte
Berufungsinstanz abwarten. Die höchste Verurteiltenquote haben die
Mitte- und Rechtsparteien UDC (mit der Professor Monti sich für die
Wahlen zusammengetan hat) und Berlusconis PDL. Aber auch die PD ist
davon nicht frei. Obwohl die nötige Unterschriftenzahl zusammenkam,
hat sich das Parlament unter Missachtung der Rechtslage bis heute
nicht mit den vorgebrachten Themen befasst.
Beim
zweiten V-Day ging es um die Erzwingung von Volksabstimmungen mittels
Unterschriftensammlungen. Ziel war die Aufhebung gesetzlicher
Regelungen, die der Pressefreiheit in Italien entgegenstehen.
Beispielsweise wollte Grillo die staatliche Zeitungsfinanzierung
aufheben, um die Einflussnahme der Politik zu beenden. Ebenso wollte
er die Journalistenkammer abschaffen. In Italien darf man als
Journalist nur tätig werden, nachdem man eine staatliche Prüfung
bestanden hat und in die Journalistenkammer (ähnlich einer
Rechtsanwaltskammer) aufgenommen wurde. Dieses Instrument zur
medienpolitischen Steuerung wurde in den dreißiger Jahren unter
Mussolini eingeführt und existiert, einmalig in Europa, noch heute.
Laut Grillo kamen 1,3 Millionen Unterschriften zusammen, 500.000
waren nötig, um das Referendum zu erzwingen. Das höchste
italienische Gericht hat allerdings mehrere hunderttausende
Unterschriften nicht anerkannt, womit das Vorhaben gescheitert ist.
Im
Jahre 2009 hat Beppe Grillo schließlich das Movimento 5
Stelle gegründet, eine Art
Bürgerbewegung, die sich zum Ziel setzt, bestimmte Projekte, wie die
oben beschriebenen zu verwirklichen. Seit Anbeginn wird diese
Bewegung von der italienischen Politik und den Medien entweder
ignoriert oder pauschal verunglimpft. Wer mag, kann sich gern selbst
ein Bild machen. M5S hat ein konkretes Programm, dass auch auf
deutsch abgerufen werden kann:
http://www.movimentocinquestelle.eu/documenti/programma-de.pdf
M5S sieht
sich als eine Art Plattform, auf der Ideen von jedermann ausgetauscht
und Vorschläge erarbeitet werden können. Das Internet ist dabei die
Grundlage, die bisher ungekannte Möglichkeiten der Kommunikation und den Bürgern eine völlig neue Teilhabe an der Politik
bietet.
Wer sich
jetzt über den Erfolg des M5S wundert, hat anscheinend die ganzen
letzten Jahre verschlafen, in denen sich die Bewegung Beppe Grillos
entwickelt hat. Von Jahr zu Jahr hat Beppe Grillo bei seinen
Auftritten Theater und Plätze gefüllt. Und ab 2010 hat M5S langsam
aber stetig Wahlerfolge errungen. Bei einigen Kommunalwahlen im Mai
2011 schaffte das M5S den Einzug in mehrere Gemeinderäte. Seit Mai
2012 stellt das M5S beispielsweise mit Parma erstmals den
Bürgermeister einer Großstadt. Und im Oktober 2012 wurde das M5S
die stärkste politische Gruppierung bei den Regionalwahlen in
Sizilien.
Nun sitzt
das M5S also im italienischen Parlament und sorgt dort für frischen
Wind. Bereits jetzt ist klar: unter den M5S-Abgeordneten gibt es
niemanden, der Probleme mit der Justiz hat. Sie sind außerdem die
jüngsten Abgeordneten und die mit dem höchsten Bildungsgrad.
Füllt die Plätze Italiens: vor zwei Jahren war ich bei Beppe Grillos Auftritt in Cento dabei
|
Beppe Grillo Teil 2
Und nun werde ich Beppe Grillo von dem Thron holen, auf den ich ihn bisher durch meine Beschreibungen gesetzt habe. Denn kritisieren kann und muss man ihn schon, nur bitte mit Argumenten, nicht mit Schlagwörtern.
Meiner
Meinung nach hat das M5S nur dann eine wirkliche Chance, wenn es es
schafft, sich von seinem Übervater Beppe Grillo zu emanzipieren. Es
ist klar, dass ohne Grillos Popularität und seinen jahrelangen
Einsatz das M5S niemals entstanden wäre, geschweige denn den
aktuellen Erfolg erreicht hätte.
Gerade
eine Bewegung, die sich für eine umfassende Demokratisierung der
italienischen Politik einsetzt, muss in dieser Hinsicht mehr als nur
Vorbild sein. Und gerade hier zeigt sich, dass die Einflussnahme
Grillos auf das M5S problematisch wird. Erstmals deutlich wurde das
im März 2012, als der ferraresische Gemeinderat Valentino Tavolazzi,
der vom M5S unterstützt wurde, von Beppe Grillo aus der Bewegung
ausgeschlossen wurde. Begründet wurde das mit Versuchen Tavolazzis
die „Bewegung“ umzuorganisieren, letztendlich wohl in Richtung
„Partei“. Und da Grillo die Parteien abschaffen will, kann M5S
niemals eine Partei sein. Offenbar stellte Tavolazzi auch Fragen zur
Rolle Grillos im M5S der Zukunft.
Als der
Ausschluss Tavolazzis von der Ortsgruppe Cento des M5S kritisch
hinterfragt wurde, bekam diese Post von Grillos Anwalt. Ihr wurde das
Recht entzogen, Namen und Symbol des M5S zu verwenden. Diese sind
nämlich eine eingetragene Marke, die Beppe Grillo gehört. Und damit
sind wir schon am Kern des Problems. Das M5S ist keine Partei, sie
hat keine Mitglieder. Das M5S sieht sich als Plattform. Unter seinem
M5S versammeln sich engagierte Bürger, um gemeinsam etwas zu
erreichen. Und über allem wacht Beppe Grillo. Die auf dem Foto oben
versammelten M5Sler aus Cento sind mittlerweilse nicht mehr Teil der
Bewegung.
Und
ebenfalls raus sind zwei bolognesische M5Sler, die sich im Herbst
2012 kritisch zur inneren Demokratie in der Bewegung geäußert
haben. Grillo zeigt sich kompromisslos. Abweichler sieht er als
potenziell zerstörerisch für die Bewegung und sein Projekt des
vollkommenen Umbaus des politischen Systems an. Aktuell lehnt er
daher auch jede Zusammenarbeit mit der PD in Form einer
Regierungsbildung ab. Er meint, er möchte der PD nicht als
verlängerter Arm beim Erhalt der Parteienherrschaft behilflich sein.
Finale
Und dennoch bin ich nach dem Wahlergebnis noch guter Hoffnung. Die neuen Verhältnisse zwingen sowohl M5S als auch PD dazu, Farbe zu bekennen. Es wird keine Ausflüchte mehr geben. Vorschläge des M5S, die auf positive Resonanz bei der PD-Anhängerschaft treffen, werden von der Parteiführung nicht mehr einfach abgewiesen werden können. Die PD wird sich nicht mehr hinter irgendwelchen Verhältnissen verstecken können, die ihr aus diesem oder jenem Grund Reformen unmöglich machen würden. Denn dies oder eine Zusammenarbeit mit der PDL würde sie endgültig unglaubwürdig machen und sie bei den nächsten Wahlen sehr teuer zu stehen kommen. Bereits die Unterstützung der Regierung Monti hätte die PD beinahe den knappen Wahlsieg gekostet. Denn auch Montis Bilanz ist kläglich. Reformen kamen so gut wie keine zustande. Dabei wollte er durchaus auch die Kaste einen Beitrag leisten lassen, kam damit aber natürlich nicht durch das Parlament. Lediglich mit Steuererhöhungen konnte Monti die Staatspleite abwenden.
Finale
Und dennoch bin ich nach dem Wahlergebnis noch guter Hoffnung. Die neuen Verhältnisse zwingen sowohl M5S als auch PD dazu, Farbe zu bekennen. Es wird keine Ausflüchte mehr geben. Vorschläge des M5S, die auf positive Resonanz bei der PD-Anhängerschaft treffen, werden von der Parteiführung nicht mehr einfach abgewiesen werden können. Die PD wird sich nicht mehr hinter irgendwelchen Verhältnissen verstecken können, die ihr aus diesem oder jenem Grund Reformen unmöglich machen würden. Denn dies oder eine Zusammenarbeit mit der PDL würde sie endgültig unglaubwürdig machen und sie bei den nächsten Wahlen sehr teuer zu stehen kommen. Bereits die Unterstützung der Regierung Monti hätte die PD beinahe den knappen Wahlsieg gekostet. Denn auch Montis Bilanz ist kläglich. Reformen kamen so gut wie keine zustande. Dabei wollte er durchaus auch die Kaste einen Beitrag leisten lassen, kam damit aber natürlich nicht durch das Parlament. Lediglich mit Steuererhöhungen konnte Monti die Staatspleite abwenden.
Die derzeitige Situation scheint verfahren, weil keiner eine
Regierung bilden kann. Das M5S sieht keine Vertrauensgrundlage, um
mit der PD, die bis zum Wahltag gegen Grillo und das M5S gehetzt hat,
eine Regierung zu stellen. Es wird sich jedoch nicht aus der
Verantwortung stehlen können, wenn es die Gelegenheit bekommt,
einige seiner Forderungen umzusetzen. Denn das würde das Ende des
Projekts M5S bedeuten. Wir werden sehen, ob alle Beteiligten genug
Fantasie aufbringen, um eine tragbare Lösung zu finden, die Italien
voranbringen wird.
Nach dieser ausführlichen Berichterstattung meinerseits melde ich
mich wieder ab, wünsche Euch einen schönen Frühling und überlasse
Euch wieder den von mir so kritisierten Journalisten der deutschen
Medien. Was mich dabei so besonders erschüttert, ist, dass die
Unkenntnis und Oberflächlichkeit schon so groß ist, wenn es sich um
ein nahes und befreundetes Land wie Italien handelt. Ich frage mich
in solchen Momenten, was ich von dem glauben soll, was uns über
Länder wie Syrien, Iran oder Nordkorea erzählt wird.
Naja,
das mit dem Frühling war wohl nichts.
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