venerdì 5 dicembre 2003

grande freddo

Cari amici,
 
so fangen sie immer an, meine beliebten Rundmails. Traurigerweise ist nur noch ein Drittel in der Mailingliste verblieben, aber immerhin scheint das ja überhaupt jemanden zu interessieren. Nach der Kritik eines einzelnen Herren aus Berlin-Charlottenburg, die Mails wären zu lang, habe ich mich entschlossen, die Mail in verschiedene Abschnitte zu teilen. Wenn also irgendwas langweilig für Euch ist, könnt Ihr zum nächsten Teil springen. Oder Ihr könnt jeden Tag nur einen Teil lesen, habt somit sogar für mehrere Tage Lesestoff... Nun denn!

Das Wetter und ich


Nun liege ich hier in meinem Krankenbett, es ist Dienstag nacht und ich kann nicht einschlafen. Und das hat mehrere Gründe. Erstens ich habe Halsweh, zweitens habe ich den zweiten Tag in Folge das Bett gehütet, den ganzen Tag geschlafen und kann jetzt nicht mehr. Drittens prasselt der Regen gegen die Fenster. Man könnte mich schon als poverino (Ärmster) bezeichnen, denn der ganze Ärger meiner Erkältung begann am Sonntagabend mit einem leichten Fieber. Seitdem wälze ich mich in meinem Selbstmitleid und jammere über das Klima in Genua und die Heizleistung meines Hauses. Es werden zwar immerhin 20° erreicht, aber in meinem Z ustand ist das zu wenig. Hinzu kommt noch, dass ich mein europäisches Krankenkassenformular E ??? zu Hause gelassen habe, ganz der Italiener der ich im Geiste und im Herzen schon immer war. Ich denke aber doch, dass ich wohl morgen wieder zur Uni gehen kann.
An dieser Erkältung trägt diesmal nicht die Klimaanlage des Autos meiner Eltern schuld (ach, ach, was war das für ein schöner Sommer in Berlin), nein, es ist das Wetter. Es ist zwar nicht so richtig kalt, unter 10 ° hatten wir es hier vielleicht 2-3 Tage, einmal waren es gar 6. Dafür regnet es fast ununterbrochen. In meiner ersten Mail hatte ich ja noch groß vom Wetter geschwärmt, aber bereits Mitte Oktober begann der Winter in Genua. Erstmals fielen die Temperaturen auf 12-13 °, was vor allem ein Problem wurde, weil ein italienisches Gesetz das Heizen vor dem 1. November verbietet. Nach 3 Tagen hatte der Bürgermeister ein Einsehen und setzte mittels Sonderverordnung das Gesetz für Genua außer Kraft. Diese erste Kälte (il primo freddo) war schnell ein beliebtes Gesprächsthema in ganz Genua. Bis über die Mitte des November hinaus war es dann wieder durchaus nett, ab und an mal Regen, jedoch auch Tage mit bis zu 20°. Aber seit ca. 1-2 Wochen regnet es nun fast ununterbrochen. Das soll so bis Ende Dezember weitergehen. So lange bin ich ja nicht mehr da.

Kommunisten


In meiner letzten Mail ist fälschlicherweise der Eindruck entstanden, ich würde nur auf Parties gehen, was wirklich nicht der Fall ist. Letzte Woche war ich 5 Tage in der Uni und nur an einem Abend in der Stadt unterwegs. Dieser Abend wird noch später erwähnt, jetzt erst einmal zum Wesentlichen.
Bereits bei meinen ersten Uni-Besuchen fielen mir die ersten Zeichen einer aktiven, kommunistischen Bewegung auf. Flugblätter hingen überall an den schwarzen Brettern und es gab auch einen Marxismus-Kurs.
Letzte Woche Donnerstag war ich gerade auf dem Weg von einem Unigebäude ins Nächste, als mich ein Student mit einem Stapel Zeitungen (irgendwas vom wahren Sozialismus) anhielt und mich einlud, bei einer Demonstration gegen den Irak-Krieg mitzumachen. Mein Einwand, dass es ja wohl zu spät dafür sei, ließ er nicht gelten, denn Bush habe zwar das Kriegsende erklärt, aber er dauere doch immer noch an. Ich meinte dann, das sei richtig, aber man kann doch den Irak jetzt nicht in dem Chaos allein lassen und die Amerikaner müssen das jetzt auch irgendwie zu Ende bringen. Letztendlich konnte er mich nicht zu der Demo überreden, aber ich bin am Donnerstag zu einer Diskussion über dieses Thema eingeladen. Ich bin ja mal gespannt (, ob ich was verstehen werde).

Heute musste ich aber nicht mal außer Haus gehen, um irgendwelchen Agitatoren über den Weg zu laufen. Ich war gerade dabei, mein Abendessen zuzubereiten, als es an der Tür schellte. Es stand eine junge Frau vor der Tür und sie wollte kommunistische Zeitungen verkaufen. Anscheinend ist „kommunistisch“ in Italien überhaupt nicht negativ besetzt, so normal klang das. Na ja, ich bekundete mein Desinteresse, worauf sie fragte, wie es mit einer Spende gegen den Irak-Krieg wäre. Ich wiederholte immer nur no grazie, ciao, während sie weiterredete. Also schloss ich einfach die Tür. Eine Spende gegen den Irak-Krieg? Wie soll ich mir das denn vorstellen? Vielleicht hab ich auch einfach was falsch verstanden? Man weiß es nicht...
Mein franco-portugiesischer Mitbewohner N. kam dann noch schnell, riss die Tür wieder auf und kaufte also dieses Organ der leninistischen Gruppen (steht so drauf, direkt neben der marxschen Formel „Proletari di tutti i paesi unitevi!“). N. sammelt nämlich absurde italienische Dinge. Er hat auch ein Flugblatt der Kommunisten gegen Drogenmissbrauch. Und über den Mussolini-Kalender, den ich ihm vor meiner Abreise schenken werde, wird er sich sicher freuen.

Das Nahverkehrssystem


Wie versprochen, noch einmal zurück zu dem einen Ausgehabend in der letzten Woche. Im Grunde genommen habe ich mich da länger mit K., einer Hallenserin, unterhalten. Unser Gespräch drehte sich hauptsächlich um das Nahverkehrssystem in Genua. Wobei „System“ eigentlich ein Euphemismus ist, es handelt sich um die Koexistenz verschiedener Buslinien. Die Problematik mit dem Ein- und Aussteigen habe ich ja bereits in meiner ersten Mail erwähnt. Findet man das am Anfang noch witzig, nervt es nach einer Weile nur und man fragt sich, welcher Trottel sich das ausgedacht hat. Man muss sich das so vorstellen: ein überfüllter Bus hält an einer Haltestelle, die Leute steigen im Eingang ein, wollen aber meist nach 1 oder 2 Haltestellen wieder raus und kämpfen sich daher panisch zum Ausgang durch. Hinzu kommt noch das Gemecker über die Pünktlichkeit. Das verstehe ich wiederum nicht, denn es gibt doch keine Fahrpläne, wie kann ein Bus da unpünktlich sein? Die Tafeln an den Bushaltestellen geben die ersten und die letzten Fahrten an, ansonsten noch die Taktfrequenz. An meiner Haltestelle kommt der Bus alle 8 oder alle 17 Minuten. Wann welche Frequenz gilt, steht nicht dran. Wüsste man dies, könnte man sich sicherlich ausrechnen, wann um die Mittagszeit ein Bus kommen müsste und dann auf Pünktlichkeit pochen. Aber so was macht doch keiner... oder? Das nächste Problem besteht darin, den passenden Bus zu finden, wenn man mal ans andere Ende der Stadt will. Es gibt keine Übersicht, wo welche Linien hinführen. Auf die Idee, Linien aufeinander abzustimmen, ist auch noch keiner gekommen. Es war wirklich schön für mich, dass K. mit dem Thema angefangen hat, ich bin also nicht der Einzige, dem es so geht. Wenn wir mal einen Ausflug nach Portofino machen und unseren Bundeskanzler dort treffen sollten, dann werden wir ihm sagen: „Gerd, mit den Bussen in Deutschland, das haste gut gemacht!“
Eine Anekdote habe ich noch zu dem Thema. Als ich vor einigen Wochen an einer Haltestelle auf meinen Bus wartete, kam plötzlich ein Bus mit der Aufschrift „außer Betrieb“. Die Masse der Mitwartenden stürmte den Bus, ich erhob mich eher verunsichert. Irgendwann fragte einer den Fahrer, wo er denn hinfahren würde. Es war offenbar die falsche Antwort, die Masse verließ den Bus, ich setzte mich wieder und nicht weit von mir stand ein Mann und sagte leise und resigniert siamo in Italia (wir sind in Italien). Ich lächelte nur.


An dieser Stelle bin ich eingeschlafen. Mittlerweile ist es Donnerstagabend und ich habe mir fest vorgenommen, morgen zur Uni zu gehen.

Eigentlich wollte ich zum Thema Busse nichts mehr schreiben, ist ja schon genug. Aber ich kann Euch nicht vorenthalten, dass ich gestern, Mittwoch, so gegen 11 Uhr, aus meinem Krankheitsschlaf gerissen wurde, durch das Dauergehupe eines Busses. Offenbar ging sie nicht abzustellen. 5 Minuten lang wurde sie langsam immer lauter, bis der Bus endlich an meinem Fenster vorbeifuhr, nach weiteren 5 Minuten war er wieder außer Hörweite. Das mag sich jetzt witzig anhören, aber ich hätte getobt, wenn mich armer Tropf nicht die Schwäche meiner Krankheit davon abgehalten hätte.


Scontrini


Das sind Kassenzettel, die man in Italien überall bekommt, und NIE wegwerfen darf. Also nach ein paar Tagen schon. Die scontrini gelten als Beweis, dass man das gerade abgeschlossene Geschäft, sei es auch nur ein caffé für 80 cent, legal gemacht hat. Demzufolge muss man diese aufbewahren, falls man mal in die Kontrolle der Guardia di Finanza gerät. So sagt es das Gesetz, so steht es auch in jedem Reiseführer. Das Erstaunliche aber: die meinen es ernst. Ich habe in mehreren Italien-Urlauben und auch in den 2 Monaten, die ich nun schon hier bin, noch nie einen Steuerpolizisten gesehen, der irgendwas kontrollieren würde, aber alle Italiener nehmen die scontrini und packen sie ganz selbstverständlich ein. Mein italienischer Freund T. warnte mich auch einmal, als ich ganz sorglos wieder einen scontrino wegwerfen wollte. Demzufolge kann ich mittlerweile, wenn ich nur lange genug in den Ablagen meines Autos suche, nachweisen, dass ich den caffé vor 4 Wochen zwar schwarz getrunken, aber korrekt bezahlt habe. Als ich im Lidl mal an der Kasse stand, beobachtete ich folgende Szene: eine Frau bezahlt, packt ihre Einkäufe zusammen und geht. Als sie an der Tür ist, schreit der Kassierer ganz laut: Ihr scontrino!! Alle gucken ganz besorgt, sie rennt zurück und scheint völlig erleichtert, als ob er sie vor sonst was bewahrt hat.

Klischees


Wenn ich immer von „den Italienern“ spreche, so sollte ich doch hinzufügen, dass ich hier in Ligurien, in Genua, bin und von den Menschen hier behaupten die restlichen Italiener, dass sie geizig seien. Nun, wenn ich mir meine Vermieterin betrachte, denke ich, 250€ sind ein angemessener Preis für die Wohnung. Und in dem Monat, den ich hier nun schon wohne, hat sie bereits 2 mal frisch gebackenen Kuchen vorbeigebracht. Nett, oder? Und nicht so geizig. Auch der Nachbar gehört zu einer besonderen Art. Er klingelte ungefähr 1 Woche nach meinem Einzug an der Tür und beschwerte sich, über die Ruhestörung. Dies alles aber total höflich verpackt, er hat nämlich vollstes Verständnis und war auch mal jung. Und im nächsten Nebensatz fragte er, wie wir die Pasta zubereiten. Er hat da nämlich noch viele Flaschen Pastasauce, die ihm seine Mutter immer mitgibt, und er bräuchte noch Jahre, um die zu verbrauchen. Auf diese Weise kam ich also zu einer Pastasauce, wie ich sie in meiner letzten Mail erbeten hatte. Also das Klischee vom geizigen Genuesen stimmt nicht.

Nächstes Klischee, die italienische Bürokratie. Ich habe da viel Böses gehört, vor allem in Florenz soll es etwas chaotisch zu gehen. Ich hatte mit meiner Aufenthaltserlaubnis keine Probleme. Ich ging zur questura, fragte am Eingang, wo ich hinsolle und bekam zur Antwort: Aufenthaltserlaubnis? Welche Nationalität? Ich: deutsch, er: ah, dann gehen sie einfach durch, sie brauchen sich nicht anstellen. So stell ich mir Europa vor... „Deutscher? Kein Problem, immer nach vorn!“
Nach 10 Minuten war ich da fertig und sollte nach 1 Woche wiederkommen. Ich hab ihnen 2 gegeben und es dauerte diesmal nur 5 Minuten, bis ich meine Aufenthaltserlaubnis hatte, mit der ich mich noch mehr als Italiener fühle.

Das Klischee vom Chaos stimmt also auch nicht. Die Genueser haben in einigen Bereichen geradezu preußische Eigenheiten, spontan fällt mir ein, dass sogar die Fußgänger an roten Ampeln stehen bleiben.
Nun mal zu der anderen Seite. Als ich gestern in der Apotheke in meinem fließenden Italienisch irgendwas gegen Erkältungen und Kopfschmerzen kaufen wollte, sagte die eine Verkäuferin zur anderen: der spricht ja richtig gut, während die Dritte fragte, ob ich das Oktoberfest kenne. Ich sagte ihr, dass ich doch nicht aus Bayern käme und auch kein Bier trinke, aber ich hab schon von gehört. A., die nette Spanierin, aus dem Sprachkurs, hat das mal ganz treffend ausgedrückt. Als wir gegenseitig erzählen sollten, was man in seinem Land über die anderen denkt, meinte sie: die Deutschen trinken Bier und sind immer ernst, nur Daniel ist anders, der ist nie ernst und trinkt kein Bier. Bravo! Ehrensache, dass ich den Franzosen höfliche Arroganz vorgeworfen habe und sagte, die Italiener kämen schon mit Sonnenbrille auf die Welt.

Finale


Alle, die einzelne Teile übersprungen haben, können sich hier wieder anschließen. Zum Abschluss bleibt zu sagen, dass ich die Diskussion gegen den Krieg nicht besucht habe, aus verständlichen Gründen. N. geht heute Abend, immer noch Donnerstag, zu einer anderen Diskussion und will sie heimlich filmen.


So, und nun ist es Freitag Mittag. Ich erkläre noch kurz die Fotos, die im Anhang stecken, und werde mich dann auf den Weg machen. Foto1 zeigt mein Zimmer, vor allem mein Bett. Im Grunde genommen besteht mein Zimmer auch nicht aus viel mehr. Foto2 zeigt den bereits erwähnten Mussolini-Kalender, gesehen im Einkaufszentrum von Savona. Foto3 zeigt die Piazza de Ferrari, das Zentrum Genuas, wie ich sie im September, als es noch schön war, fotografiert habe. Foto4, ebenfalls aus dem September, zeigt die alte Galeere im alten Hafen und Foto5, heute aufgenommen, es scheint wieder die Sonne!!!, zeigt meine Straße, die Via Bassano. Und einen Bus habe ich auch gerade erwischt...