lunedì 9 novembre 2009

venti

Cari amici,

nach langer Stille melde ich mich wieder mit einem Bericht aus Italien. Seit sechs Jahren, beziehungsweise aufgrund einer zweijährigen Unterbrechung seit vier Jahren „netto“, lasse ich Euch an Begebenheiten, Erfahrungen und Empfindungen teilhaben und damit soll es nun auch gut sein. Zum (vermutlich) letzten Mal werde ich heute von meinem Leben in Italien berichten. Die Gründe werde ich noch erläutern, aber zu Beginn werde Euch wieder mal sowohl positiv wie auch negativ über Italien berichten.

Sagre

Bereits im Frühjahr 2004 war ich zu sogenannten sagre in einigen ligurischen Küstendörfern. Sagre sind Volksfeste, die sich um die kulinarischen Spezialitäten der ausrichtenden Ortschaften drehen. Normalerweise ziehen sie ungeahnte Menschenmassen an, unbedeutende Bergstraßen werden dann zu Staufallen und die teilweise verschlafenen Dorfzentren verwandeln sich für ein paar Tage in regionale Kulturzentren.
In Ligurien war es in Camogli das Fischfest, auf dem in einer riesigen Bratpfanne (in der Art von Villarriba und Villabajo aus der Spülmittelwerbung) Fisch gebraten und unter den sich um die Pfanne drängenden Massen verteilt wird. In Recco gab es die berühmte focaccia al formaggio di Recco (die Berühmtheit scheint sich hierbei auf die Provinz Genua zu beschränken), die an mehreren Ständen in der Stadt verteilt wird. Auf beiden Festen werden diese Spezialitäten sogar kostenlos verteilt, und das im als geizig geltenden Gebiet um Genua.


Blick auf Camogli – angeblich leitet sich der Name ab von Case delle mogli – die Häuser der Ehefrauen (die Männer waren als Seeleute immer unterwegs). Laut italienischer Wikipedia hat der Ortsname aber leider andere Ursprünge.
Kostenlos sind die Spezialitäten hier in der Toskana zwar nicht, aber dennoch sind die sagre auch hier ein Höhepunkt für die ausrichtenden Orte und die Besucher von nah und fern. Als ich noch in Pieve wohnte, war die örtliche sagra der Saubohne und der Erdbeere gewidmet, nicht so berauschend, dass man darüber Worte verlieren müsste. Allerdings muss man hinzufügen, dass in der Toskana die Feste doch eine höhere kulinarische Vielfalt bieten als die beiden Beispiele aus Ligurien, sie beschränken sich nicht auf die Produkte, die dem Fest den Namen geben. Praktisch sind die toskanischen und ligurischen Feste in ihrer Art überhaupt nicht vergleichbar. In der Toskana werden generalstabsmäßig Sportplätze und Festzelte mit Tischen, Bänken und Stühlen vollgestellt. Die Besucher bekommen am Eingang das Menü ausgehändigt, auf dem sie die Speisen und Getränke ankreuzen, die sie konsumieren möchten. Dann wird als erstes bezahlt und ihnen wird schließlich eine Quittung ausgehändigt, mit der sie dann in Richtung Festzelt gehen und sich einen Tisch zuweisen lassen. Nach und nach bekommen sie dort dann ihre Speisen in der für Italien üblichen Reihenfolge (Vorspeise-Pastagericht-Fleisch-/Fischgericht-Nachspeise) serviert.

Sagra in Cerreto Guidi auf einem kleinen Bolzplatz im Ortszentrum
In Cerreto war ich Ende Juli auf der diesjährigen Sagra del cinghiale e del papero (Fest des Wildschweins und der Ente) und habe zum ersten Mal eine richtige toskanische sagra miterlebt. Gut, dass Cerreto ein ordentliches Menü zusammenstellen konnte. Aber auch, wer keine spezielle Jagdtradition hat, lässt sich irgendwas einfallen, um die Leute anzulocken. Der Nachbarort Lazzeretto veranstaltet jedes Jahr das Pizzafest, zu dem ich im September zweimal mit meinen Eltern war. Die Pizza ist zwar nicht wirklich toskanisch, aber das sieht man da nicht so eng.


Mein Menü in Cerreto: toskanische Vorspeise, Pasta mit Entenragout und schließlich Wildschwein
Und weil auf den Festen nicht nur gegessen, sondern gefeiert werden soll, lassen sich die Orte auch gelegentlich ein ganzes Rahmenprogramm einfallen. In Cerreto gab es ein paar hundert Meter vom Essensplatz entfernt eine Bühne, auf der Musik gespielt wurde (ein slowenischer Sänger spielte in der roten Toskana dann auch den italienischen Arbeiterliedklassiker Bandiera rossa), außerdem stellte ein lokaler Motorsportverein seine Rennautos vor, es gab eine kleine Ausstellung historischer Traktoren (die teilweise bis aus der Schweiz herangeschafft wurden) und es gab schließlich auch die in weiten Teilen Mittelitaliens verbreitete Weinverkostung. Dabei kaufen sich die Besucher ein Weinglas für drei Euro und betrinken sich nach und nach kostenlos bei den in Reihe ausstellenden Weinbauern und -genossenschaften. Wobei man ehrlich zugeben muss, das die Italiener ihre alkoholischen Grenzen ganz gut kennen und sie kaum mal überschreiten. Dadurch, dass ich vom Essen und dem dort servierten Wein schon so voll war, hatte ich mir diese Tortur dann doch erspart. Schade eigentlich.

Das Wildschein jagt die Ente nach Cerreto: das Logo zur sagra zeigt, worum es geht

Maicol

Maicol ist der Name eines jungen Italieners, der unter den Auserwählten ist, die in der neuesten Staffel vom Grande fratello (dem italienischen Big Brother) mitmachen dürfen. Sein Name ist übrigens die italienisierte Version vom englischen Michael, also in etwa wie der ostdeutsche Maik. Im folgenden ein Video, italienische Sprachkenntnisse sind nicht notwendig, um meine nachfolgende Botschaft zu verstehen:


[VIDEO EXISTIERT NICHT MEHR]

Homosexualität findet in italienischen Medien praktisch nur statt, wenn sie Aufsehen erregen soll. Vorwürfe muss sich hier nicht Maicol machen lassen, sondern die Sendergruppe Mediaset, die nun in der zehnten Staffel zum ersten Mal einen Homosexuellen ausgewählt hat, der dann auch prompt alle gängigen Vorurteile erfüllt, die noch immer in Teilen der italienischen Bevölkerung vorhanden sind und offenbar gestärkt werden sollen. Homosexuelle Partnerschaften finden vom italienischen Staat bis heute keine Anerkennung, Diskriminierung wird, wenn überhaupt, nur in Lippenbekenntnissen bekämpft.
Schüchterne Versuche einiger Kräfte der gescheiterten Prodi-Regierung, die gesetzliche Lage etwas zu verbessern, sind sämtlich gescheitert. Die Situation hat sich durch die konservative Regierung natürlich auch nicht verbessert. Als die Region Toskana vor zwei Jahren eine Kampagne gegen Homophobie startete, führte das zu wilden Protesten der rechten Kräfte, die die unerhörte Botschaft der „schockierenden“ Plakate scharf angriffen. Unter anderem mit Äußerungen, dass diese Linken jetzt schon die Babies schwul machen wollen, um ihre widernatürliche Propaganda zu machen.


„Die sexuelle Orientierung ist keine freie Entscheidung“ verkündet das toskanische Plakat
Und der neueste Skandal um den Regionspräsidenten des Latium beherrscht schon seit einigen Wochen die Schlagzeilen. Piero Marrazzo hatte zugegeben, Kunde sogenannter trans zu sein und ist schließlich in der Folge auch von seinem Amt zurückgetreten. Männliche Prostitution ist auch in Italien präsent, allerdings scheint es, dass es eine wahnsinnig hohe Nachfrage für transvestite männliche Prostituierte gibt, die sogenannten trans eben. Die Verdrängung der eigenen homosexuellen Neigungen ist scheinbar unter vielen der entsprechenden italienischen Männer so weit gediehen, dass sie selbst im Fall des bezahlten Sex die Fassade aufrecht erhalten wollen, mit irgendwie-weiblichen Personen zu verkehren.
Ich will hier nicht Maicol als Sündenbock hinstellen. Im Gegensatz zu Piero Marrazzo steht er zu sich selbst und hat die gleiche Freiheit wie alle anderen Menschen auch, aber es ist schon perfide, wie mit solch einfachen Mitteln der Verbreitung und der Verstärkung von Vorurteilen Vorschub geleistet wird.
Aber obwohl Homosexuelle von den Medien sehr oft nur in verzerrender Form beschrieben werden, gibt es laut Umfragen Mehrheiten, die die Einführung einer Homo-Ehe beführworten würden. Bleibt nur zu hoffen, dass es in Italien eines Tages Politiker geben wird, die nicht auf Ausgrenzung bauen und den päpstlichen Einfluss eindämmen können.

Italianità

Wie Ihr seht, Italien hat seine guten wie schlechten Seiten. Und das war mir auch schon klar, bevor ich hierher kam. Und da ich noch immer gelegentlich Augenblicke der von mir so romantisch empfundenen italianità erlebe, werde ich auch für's erste noch eine Weile hier bleiben, so es mir möglich ist. Für diejenigen unter Euch, die mit diesem italienischen Lebensgefühl nichts anfangen können, verlinke ich hier zwei Werbespots, die Euch vielleicht einen kleinen Einblick verschaffen können. Sie sind einfach zu schön. Denjenigen hingegen, die manchmal selbst ein wenig italianità verspüren, werden beim Anblick dieser Bilder wahrscheinlich gleich die Tränen kommen.


Spot von 2007:


Spot von 2009:


Monte dei Paschi di Siena, die älteste Bank der Welt, ist seit 1472 mit der italienischen Geschichte verbunden und macht mit diesem Erbe diese wunderbaren Werbespots. Da möchte man glatt losgehen und sich ein Konto bei denen einrichten. Praktischerweise haben die sogar eine Filiale in Cerreto Guidi. Nach einem Blick auf die Tarife von MPS sind mir allerdings dann doch wieder Zweifel gekommen und ich vertraue mein Geld weiterhin einer anderen Bank an. Italienisch ist sie ja auch.

Venti

Vor zwanzig Jahren wehten die Winde der Veränderung durch Osteuropa und heute nun jährt sich jenes Ereignis, dass mir erst das Entdecken und Ausleben meiner eigenen italienischen Adern ermöglichte. Leider kann ich gerade heute nicht in Berlin sein, aber vielleicht schaffe ich es ja zum 25. Jubiläum. An dieser Stelle, da wir ja von Italien sprechen, soll auch an Benito Corghi erinnert werden, ein italienisches Opfer der innerdeutschen Grenze. Corghi war LKW-Fahrer und wurde 1976, sozusagen aus Versehen, von DDR-Grenzern an der bayerisch-thüringischen Autobahngrenze erschossen. Der Super-GAU für die DDR-Behörden war dabei, dass es sich um einen kommunistischen Aktivisten handelte, dem man beim besten Willen keine feindseligen Absichten unterschieben konnte. Zum ersten Mal überhaupt sprach die DDR schließlich im Nachhinein von einem tragischen Unfall, konnte aber dennoch nicht die Gemüter der italienischen Genossen besänftigen. Wer mehr wissen will, dem kann ich ein paar Links über diesen Teil der Geschichte zukommen lassen.
Beppe Severgnini, Journalist des Corriere della sera, war 1979 zum ersten Mal in Ostberlin und hatte danach mehrere Reisen in die Länder des Ostblocks unternommen. Heute früh war er bei Radio Monte Carlo zugeschaltet und erzählte dort ein wenig. An einem Punkt hatte er dann den, aus italienischer Sicht, völlig einleuchtenden Beweis erbracht, warum der Kommunismus eine unerfüllbare Utopie sei. Wenn nicht einmal die Deutschen ihn zum Laufen bringen könnten, ja wer denn dann?
Das Jubiläum nehme ich zum Anlass mit Ausgabe Nummer zwanzig meine Berichtsreihe abzuschließen. Übrigens: heute war ich zum zwanzigsten Mal an meinem neuen Arbeitsplatz, das Ende der Berichte hängt also nicht mit einer eventuellen Rückkehr nach Berlin zusammen. Es ist viel banaler: ich lebe mittlerweile schon so lange hier in Italien, dass es einfach immer schwieriger wird, noch interessante Geschichten zu beschaffen. Möglicherweise ist für mich auch einiges, was vielleicht von außen merkwürdig empfunden werden könnte, schon so normal, dass es mir gar nicht mehr auffällt. Außerdem hat diese Schreiberei für mich anfangs als Blitzableiter funktioniert, um einfach das zu verarbeiten, was mir hier widerfuhr. Und ich denke einfach, dass diese Phase jetzt abgeschlossen sein sollte.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es eine gewisse Kritik gab, die mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich hoffe, die Mehrheit der Leser versteht, dass ich mich niemals über Italien lustig machen wollte (außer vielleicht manchmal...), aber es besteht doch immer die Gefahr, dass meine Erfahrungen, die ja durchaus real sind, gewisse Vorurteile bedienen, aus denen sich bei manchen Lesern ein Bild von Italien zimmert, dass der Realität nicht gerecht wird. Dagegen kann ich nichts tun. Entweder ich schwärme, warum Italien so viel toller ist als Deutschland und das würde Euch nerven. Oder ich motze nur noch rum, wobei sich dann die Frage stellt, warum ich mir das alles überhaupt antue. Das ist einfach ein unlösbares Problem.
Daher soll es nun gut sein und ich verabschiede ich mich von Euch mit noch einem weiteren Video. Von Simone Cristicchi, den ich bereits in einem früheren Beitrag verlinkt habe (Klick!), stammt diese modernisierte Version eines italienischen Schlagers, den vermutlich einige von Euch schon mal gehört haben. Die entsprechenden Bilder hat ein Youtube-User unterlegt. Beides zusammen ergibt einen kleinen Blick auf das Italien von heute und gestern.



Saluti, Daniele