giovedì 26 giugno 2008

Daniele da Vinci

Cari amici,

Ja, ich schreibe wieder aus der Toskana. Wie bereits in der letzten Mail angedeutet, war in die Suche nach Arbeit bereits etwas Bewegung gekommen. Über die Ergebnisse werde ich Euch gleich unterrichten. Aber eins nach dem anderen.

Sommer

Fangen wir mit dem wichtigsten an: am vergangenen Wochenende, genauer gesagt am Samstag, dem offiziellen Sommeranfang, habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr einen Sprung in den hauseigenen Pool gewagt. Nach all den Problemen habe ich das ja kaum noch zu hoffen gewagt. Letztes Jahr im Oktober begannen Bauarbeiten, die sowohl den Pool als auch die Parkplätze gegen die zunehmende Erdrutschgefahr stabilisieren sollten. Und wie das so ist, die Bauarbeiten liefen erst einmal ziemlich planlos ab, wurden immer mal wieder für Monate unterbrochen und am Ende stand die rechtzeitige Beendigung der Arbeiten rechtzeitig zum Saisonbeginn völlig in Frage. Meine aus Como kommende Nachbarin, die ich bereits in der letzten Mail erwähnt hatte, schob alles auf die toskanisch-phlegmatische Mentalität.
Aber am Ende, nachdem die Hauseigentümer mit dem Nichtbezahlen der Nebenkostenabrechnungen drohen mussten, hat die Verwalterin die Baufirma, die nie um Ausreden verlegen war, unter Druck gesetzt und so war dann in der ersten Juniwoche, rechtzeitig zum Saisonbeginn wenigstens der Pool fertig. Der Parkplatz muss erst mal warten, aber wirklich viele Autos parken hier eh seltener.
Das Problem war nun aber, dass der Juni bis letzte Woche kein wirklich schöner Monat war: Regen, Wolken, Wind... und Temperaturen irgendwo zwischen nicht-kalt und nicht-warm. Und dann kam vor einer Woche der Sommer.
Und zwar mit Macht. Tagsüber herrschen über 35 Grad, dazu eine erhöhte Luftfeuchtigkeit. Und so ist der Sprung in den Pool nach nur einer Woche Hitze keine wirkliche Erfrischung mehr. Mit über 30 Grad Wassertemperatur kann sich mein Pool schon bald als Terme di Santa Luce präsentieren, vom „kühlen Nass“ kann sicher nicht die Rede sein. Und da sich nun nach dem langen Winter aus der ganzen Toskana die Menschen an die Küsten begeben, um die Wochenenden am Strand zu verbringen, kann auch das erfrischendere Meer, wegen Überfüllung, momentan keine wirkliche Alternative sein.
Wenn ich in den Mittagspausen aus dem klimatisierten Büro komme, abends nach der Heimfahrt aus dem klimatisierten Auto steige und nachts den Kühlschrank nach kalten Getränken durchforste, dann fällt mir in diesen Momenten immer öfter der Text aus einem Lied von Daniele Silvestri ein: L’estate da noi non è mica un periodo felice, che il caldo ti toglie la pace. – Der Sommer bei uns macht einen sicher nicht glücklich, so raubt dir die Hitze den Frieden.

Er sieht zwar erfrischend aus, ist es aber kaum noch.

Arbeit

Nein, ich bin nicht mehr arbeitslos. Seit dem 12. Mai arbeite ich für einen Hersteller von Klebebändern. Als Nichtfachmann denkt man sich ja erst mal nichts weiter über so banale Produkte wie Klebebänder, aber in den letzten Wochen habe ich eine neue Welt entdeckt und schicke mich nun an, die deutschsprachigen Märkte mit italienischen Klebebändern zu überschwemmen. Tatsächlich werde ich bereits in der nächsten Woche meine erste Dienstreise nach Deutschland antreten und deutschen Großhändlern die Firma und ihre Produkte vorstellen. So kann’s kommen im Leben!
Im Ernst, es klingt erst einmal ziemlich merkwürdig, aber ich habe so langsam das Gefühl, wirklich eine Art Volltreffer mit dieser Arbeit gefunden zu haben. Die Firma ist perfekt organisiert, solide und seriös. Die Produkte, so weit ich das beurteilen kann, sind von guter Qualität und die Firma hat sich auf dem italienischen Markt in den letzten vier Jahrzehnten einen guten Ruf und eine marktführende Stellung erarbeitet. Gestern habe ich beispielsweise mit einem Gewebeklebeband rumgespielt und zu meiner Kollegin gesagt, dass die Entführer bestimmt immer diese Bänder nutzen würden, um die Münder ihrer Opfer zu verkleben. Sie fing an zu lachen und sagte dann, dass sie wirklich schon unsere Klebebänder im Telegiornale (Fernsehnachrichten) gesehen habe. Ob Tesa auch schon solche Publicity hatte?
Jedenfalls ist die Firma in ihrer näheren Umgebung neben einem Eis-Hersteller einer der größten Arbeitgeber. Und die Art und Weise meiner Einstellung spricht auch für die Firma. Das begann mit den Komplimenten, mit denen mich mein zukünftiger Chef beim Unterschreiben des Vertrages überhäuft hat und setzte sich mit einem genau ausgearbeiteten Einführungsprogramm fort, in dem ich in praktisch alle Bereiche der Firma Einblick gewinnen konnte. Bisher jedenfalls macht mir die Arbeit Spaß und ich fühl mich richtig gut in der neuen Firma. Dass ich alle paar Wochen nach Deutschland fahren muss, empfinde ich eher als Gewinn denn als Zwang. Und mit meinen Kollegen verstehe ich mich auch sehr gut. Im Moment ist noch nirgendwo der übliche stronzo del turno (Arschloch vom Dienst) zu sehen. Die Werft in Livorno war voll davon.
Nun fragt Ihr Euch sicherlich: „Und wo ist das nun? Wo hat das Unternehmen seinen Sitz?“ Auf Eure Frage würde ich mit „In der Geburtsstadt von Leonardo da Vinci“ antworten. An dieser Stelle beginnt ein Witz, der auf Eurem Unwissen aufbaut. Ihr würdet nämlich weiter fragen: „Und wo ist das?“ Und nun kommt die Pointe: „Na in Vinci!“ Hahaha!
Die Florentiner und Empolesen, und aus denen rekrutieren sich meine neuen Arbeitskollegen, sagen übrigens, dass die Einwohner Vincis, die Vincianer, nicht besonders helle seien. Die für diesen Ort vorgesehene Intelligenz wurde von Leonardo für einige Jahrhunderte im Voraus aufgebraucht. Ja ja, so sind sie die Toskaner, nie um einen flotten Spruch verlegen und dabei mindestens so sympathisch wie wir Berliner.
Mindestens neunzig Prozent meiner Kollegin kommen aus der direkten Umgebung und man hört ihnen das auch an. Es ist schwer zu beschreiben, aber das Florentinische unterscheidet sich deutlich vom Livornesischen, das ich bisher gewohnt war. Es ist weniger vulgär, obwohl natürlich auch die Florentiner nicht sparsam mit Kraftausdrücken umgehen. Hinzu kommen noch einige Feinheiten, die man einfach hören muss, die sich hier jetzt aber schwer erklären lassen.
Und neben ihrem sympathischen Dialekt, zeichnet meine Kollegen auch eine wirklich herzliche Freundlichkeit und eine bisher ungekannte Interessiertheit aus. So haben mich einige Kollegen beispielsweise vor den letzten EM-Spielen mit einem aufmunternden Forza Germania! (Deutschland vor!) in den Feierabend geschickt. Ein anderer Kollege hat mich sprachlos gemacht, als er mich fragte, ob ich seine beiden deutschen Lieblingsfilme kennen würde: Le vite degli altri (Das Leben der Anderen) und Good Bye Lenin! Wiederum andere Kollegen probieren an mir ihre versteckten Deutschkenntnisse aus lang zurückreichenden Schulzeiten aus: Mocktest du einen caffè?

Sind diese Farben Zufall? Diese Kodak-Werbung im italienischen Internet spricht von „neu definierter Perfektion“

Politik

Und da es in den letzten Monaten noch immer viel Erstaunen über die Wahl Berlusconis gegeben hat, werde ich nun doch noch mal versuchen, die Lage zu analysieren. Keine Angst, ich denke, ich kann es in wenige Sätze fassen.
In Italien gibt es drei Sorten Politiker. Es gibt einige wenige korrupte Politiker, es gibt einige wenige inkompetente Politiker und es gibt den großen Rest, der sowohl korrupt als auch inkompetent ist. Offenbar glauben zu viele italienische Wähler, dass die Chancen, einen kompetenten Politiker zu wählen, mit deren Korruptionsgrad ansteigen. Sie wählen sozusagen das vermeintlich kleinere Übel, in der Hoffnung wenigsten ein wenig Kompetenz zur Macht zu verhelfen. Das ist ein tragischer Irrtum. Wie ja bereits erwiesen wurde, hat sich Berlusconi in der Zeit von 2001 bis 2006 nicht dadurch hervorgetan, Italien irgendwie vorangebracht zu haben. Allerdings hat die Regierung Prodi während ihrer zwei Jahre nicht nur durch Inkompetenz, sondern eben auch durch Korruptionsfälle geglänzt, die zwar keine berlusconianischen Ausmaße erreicht haben, aber viele Leute dazu gebracht haben, dann doch gleich das Original zu wählen.
Auch in dieser Hinsicht kann ich aber mit Erfreuen auf meine Wahlheimat hinweisen. Die Toskana ist und bleibt eine der „roten“ Hochburgen Italiens.
Neue Erkenntnisse gibt es von der Medienfront. Nachdem ich ja in den letzten Berichten mehrfach über die Zahnlosigkeit italienischer Zeitungen geschrieben habe, muss ich nun konstatieren, dass das nur halb so schlimm ist. Denn so einfältig sind die Italiener nicht. Ich zitiere: „Alles mögliche denkt der italienische Leser. Eines denkt er nicht: dass ein Artikel unbesehen wahr ist, selbst wenn er wahr ist. [...] Vielmehr fragt er sich [...]: Wer hat ein Interesse daran? Und warum gerade jetzt?“ Diese Sätze stehen in dem 1998 erschienenen Buch „Geliebtes Chaos Italien“ von Dietmar Polaczek. Dieses Buch habe ich 2003 vor meinem Erasmusjahr in Genua gelesen. Vor kurzem habe ich es mit fünf Jahren Abstand und den Erfahrungen von drei Jahren Italien „netto“ noch einmal gelesen. Vieles, was dort beschrieben ist, kann ich diesmal mit dem Wissen des Kenners bestätigen. Und gerade in Sachen Mediengläubigkeit kann ich diese Einschätzung nach mehreren Gesprächen, auch mit den neuen Kollegen, nur bestätigen.
Vorgestern war ich abends mit einem meiner Nachbarn im Circolo (die Genossenschaftskneipe) von Pieve und wir haben uns über alles Mögliche unterhalten. Dabei kamen wir auch zu dem Thema. Mein Nachbar M. hat eben auch diese Einschätzung bestätigt. Man lerne schon als Kind in der Schule, dass man den Zeitungen nur bedingt glauben darf. Mit einer solch medienkritischen Erziehung wachsen italienische Schüler also auf. Wenn ich da an meine ersten Kontakte mit Zeitungen in der Schule zurückdenke, kommen mir da ganz andere Erinnerungen. In der dritten oder vierten Klasse bekamen wir im Heimatkundeunterricht die Aufgabe, eine Woche lang den Artikel links oben auf der Titelseite des "Neuen Deutschland" zu sammeln, in dem vom Generalsekretär die Rede war. Auf die naive Frage eines Schülers, was man tun solle, wenn Erich Honecker mal nicht auf der Titelseite zu sehen sei, antwortete Frau H., dass das nicht vorkäme, wir könnten ganz unbesorgt sein. Heutzutage frage ich mich, ob diese Antwort eine besonders subtile Ironie war oder einfach nur so dahin gesagt.

Finale

Der Titel der Mail lässt zwar glauben, ich sei in Vinci, aber das bin ich nur tagsüber, wenn ich im Büro bin. Ansonsten wohne ich nach wie vor in Pieve di Santa Luce. Nach letztem Stand noch bis Ende September. Ich will den Sommer noch mit Pool und Terrasse verbinden, anschließend werde ich mir ein neues Heim suchen. Der Arbeitsweg nach Vinci beträgt 60km einfache Strecke und dauert eine Stunde. Auf Dauer wird das für mich und mein Konto zu belastend.
Auf der einen Seite bin ich ja schon neugierig auf meine neue Wohnung, von der ich noch nicht mal weiß, wo sie genau sein wird. Denn Vinci ist teuer, also muss ich erst einmal sehen, wo ich am Ende landen werde. Und andererseits wird mir der Abschied von Pieve di Santa Luce schwer fallen. Erst heute hat mir der V., der Bauer von nebenan, ein wenig Obst aus seinem Garten vorbeigebracht. S. vom Lebensmittelladen wird mir auch fehlen, ihr kann ich immer die neuesten Papstwitze erzählen, deren beste Version leider nur auf italienisch funktioniert.
Die Versuche, in der unmittelbaren Umgebung Arbeit zu finden, sind leider erfolglos geblieben. Dabei hat einer der Dorfbewohner, mit dem ich in S. Laden gelegentlich ein Schwätzchen halte, in seiner Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied versucht, mich bei einem deutschen Baustoffriesen unterzubringen, der in der Nachbargemeinde eine Niederlassung unterhält. Doch da liegt anscheinend das Problem: G. ist Gemeinderat in Santa Luce, der Baustoffriese muss sich nur die Leute aus der Gemeinde Castellina Marittima gefügig halten...
Überhaupt... Castellina Marittima... in der neuesten italienweiten Blitzerstatistik hat Santa Luce seinen Spitzenplatz in Sachen Pro-Kopf-Einkommen aus Strafzetteln verloren. Vor einem Jahr ungefähr habe ich Euch ja berichtet, wie Fernsehteams in meiner Gemeinde ihre Kameras aufgebaut haben, um aus Italiens blutsaugerischster Gemeinde zu berichten. Vor einigen Wochen hat mich ein Arbeitskollege, der die Gegend hier gut kennt, gefragt, wo ich wohne. Als ich „Santa Luce“ sagte, fragte er mich ganz vorwurfsvoll, ob ich wüsste, dass sich meine Gemeinde mit dem Geld der Autofahrer finanziere (in der letzten Statistik machten die Strafzettel das 3,26fache der normalen Gemeindeeinkünfte aus). Dieses Jahr waren die Nachbarn in Castellina pfiffiger, sie haben sich in der Statistik vor Santa Luce platziert. Und die anderen Nachbarn in Riparbella sind auch vorbeigezogen. Der Westen der Provinz Pisa ist definitiv eine Ecke, wo man sich als ortsunkundiger Autofahrer besser an die (absurd niedrigen) Tempolimits halten sollte.

Da es Unklarheiten gegeben hat: die Farbe von Himmel, Meer und Auto ist NICHT weiß
Ciao, ciao,
Daniel