mercoledì 5 maggio 2004

ma sto scherzando!

Cari amici,
 
es ist wieder ein Monat vergangen und somit an der Zeit, etwas von mir hören zu lassen. Diese Mail schreibe ich Euch unter dem Eindruck von einer Woche Dauerregen, also bitte nicht wundern. Damit habe ich das Thema „Wetter“ auch erst einmal abgehakt und wende mich der hiesigen Bevölkerung zu.

Die Italiener

Montag nachmittags stieg ich, nach dem ich einige Einkäufe erledigt habe, die Treppen eines höher gelegenen Stadtteils hinab und rutschte dabei auf den glitschigen Stufen (Dauerregen!) aus und fiel hin, glücklicherweise ohne mir wirklich weh zu tun. Trotzdem wollte ich mich von T. trösten lassen und rief ihn an, als ich zu Hause ankam. Folgendermaßen war seine Reaktion: „Du hast doch nicht etwa eine brutta figura gemacht? Hat Dich irgendwer gesehen, der Dich kennt?“ Brutta figura heißt hässliche Figur, meint also, einen schlechten Eindruck abgeben. Ich hab mich natürlich gleich bei ihm beschwert über so viel Taktlosigkeit, aber er sagte dann nur: „Ma sto scherzando!“ (Ich scherze doch nur).

Einen guten Eindruck zu hinterlassen hingegen, ist für die Italiener sehr wichtig. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass die Italiener im Schnitt besser gekleidet sind und einen gepflegteren Eindruck machen. Aber das ist nur eine generelle Tendenz. Es gibt auch hier ungepflegte und schlecht gekleidete Menschen, die nicht ausnahmslos deutsche Touristen sind, wie T. mir glauben machen will. Negativ macht sich das fare una bella figura allerdings auch bemerkbar. Meine Theorie ist, dass die italienischen Supermarktketten darauf auch ihre hohen Preise gründen können, denn wer bei Lidl oder Penny einkauft, macht garantiert keine bella figura. Und wenn einem hier etwas zu teuer erscheint, dann wird das trotzdem bezahlt, hinterher sind der Euro, die Regierung, die bösen Konzerne, der Süden, der Norden oder die Hauptstadt Rom daran schuld, dass man kein Geld mehr hat. Es scheint, dass es kein sehr hohes Verbraucherbewusstsein gibt. In einer Autozeitung wurde darüber geschrieben, dass die Verbraucherschutzverbände von den Versicherungen Beitragssenkungen fordern. Autoversicherungen sind in Italien 2-3 mal so teuer wie bei uns. Vielleicht liegt das auch an der Fahrweise der italienischen Autofahrer oder einfach der unfallträchtigeren Geografie Italiens, möglicherweise aber auch daran, dass es in Deutschland nicht den motorini-Faktor gibt? Die Autozeitung jedenfalls kam zu dem Schluss, dass die Autofahrer öfter zu günstigeren Versicherungen wechseln sollten anstatt nur rumzujammern. Aber vielleicht macht man damit keine bella figura? Oder die Italiener verbringen ihre Zeit mit anderen Dingen, z. B. den Staat übers Ohr zu hauen, der sich wirklich wie ein Krake überall Abgaben und Gebühren holen will. Jüngstes Beispiel, T. musste 12,09 Euro Abiturgebühr bezahlen.

Aber nicht nur der Staat und die Wirtschaft saugen den armen Italiener aus, meist sind es auch die eigenen Kinder, die wirklich bis Ende 20, Anfang 30 bei den Eltern leben. Die Begründung, die ich mehrfach gehört habe, lautet, dass es doch so bequem ist, wenn für Dich gewaschen, geputzt, aufgeräumt und gekocht wird. Es ist doch viel schöner, sein Geld (also ausschließlich das der Eltern) für Vergnügungen auszugeben. Der Wunsch nach Freiheit taucht nur bei einzelnen Studenten auf, die mal ein Erasmusjahr gemacht haben. Oft sind es aber auch die Eltern, die ihre Kinder partout nicht weggehen lassen wollen, in Italien herrscht eben ein grundlegend anderes Familienverständnis als bei uns. Die so innige Beziehung zur eigenen Sippe wird durch eine riesige Ignoranz gegenüber dem Gemeinwesen und den Fremden ausgeglichen.

In Gesprächen mit Italienern bin ich meist jedoch sehr zurückhaltend und behalte für mich, was ich so alles denke. Letztens ging es wieder um das Unisystem. Wie schon berichtet, schreiben italienische Geschichtsstudenten fast ausschließlich Klausuren, für die sie Bücher auswendig lernen müssen, in Deutschland lernen die Studenten argumentieren und schreiben dann Hausarbeiten. Italienern gegenüber sage ich dann immer, dass ein Mix aus beiden Elementen ideal wäre, das denke ich auch wirklich. Im Zweifelsfall würde ich das deutsche System jedoch vorziehen, aber das behalte ich dann immer für mich. Nur T. und F., ein Freund, den ich im Februar in Neapel besucht habe und der Ostern bei mir war, müssen sich gelegentlich meine Ausbrüche anhören. Seit neuestem kann ich dann auch Obelix zitieren, kam nämlich neulich im Fernsehen: sono pazzi, i romani (oder halt gli italiani). Wenn das mit der italienischen Küche so weitergeht, sehe ich auch bald so aus wie er. Damit habe ich auch mal wieder was positives gesagt...

Auf der anderen Seite ist es ja auch immer wieder schön zu hören, wie klischeehaft die Italiener über die Deutschen denken. T.'s Mutter meinte neulich, deutsch sei eine gute Sprache, um mit Hunden zu reden, wegen der kurzen, harten Laute (sitz! Platz!). Zweifelsohne ist italienisch die schönere Sprache, aber wir reden doch nicht alle wie die Nazis in den italienischen Filmen. Wenn Italiener dann ihre Naziwitze machen, hängen sie meist jedoch ihr übliches „ma sto scherzando!“ an, um zu signalisieren, dass das witzig war. Ein Sinn für Ironie hat sich hier nicht entwickelt, will man sie anwenden, muss man sehr vorsichtig vorgehen. Ich bin da schon in einige Fettnäpfe getreten.

Wie ich es schon in den letzten Mails geschrieben habe, bei schlechtem Wetter ist es hier auch nicht schön. Wenn ich dann aber den aktuellen Hit „in una notte d’estate“ von Le Vibrazioni höre, träume ich immer, wie schön es sein muss in Italien. Dann ist das Lied aber vorbei, ich wache auf und denke: Scheiße, ich bin ja schon da!!

Ma sto scherzando!

Neuigkeiten

Seit meiner letzten Mail ist wieder einiges passiert. Ich habe den Umzug in meine neue Wohnung gemacht und bin darüber sehr zufrieden. Das neue Zimmer ist zwar mehr ein Loch, aber K. als Mitbewohnerin ist sehr angenehm, auch wenn sie mich immer zum Essen drängen will. Sie ist der italienischen Küche wirklich verfallen. Die beiden anderen Mitbewohner, 2 Turiner, 28 Jahre alt, sehe ich nur unter der Woche, übers Wochenende fahren sie meist nach Hause.

Die neue Wohnung hat einen wirklich wahren Vorteil, sie ist sehr zentral gelegen, was mir ermöglicht, viele Wege zu Fuß zu erledigen. Dadurch bin ich auch nicht mehr auf die schrecklichen Busse angewiesen. Und wenn ich abends mal weggehe, erspare ich mir die Parkplatzsuche, da ich das Auto stehen lassen kann. Ich habe auch keine neuen Strafzettel mehr bekommen. Da ich jetzt jedoch in einer Gegend lebe, wo nur Anwohner ihre Autos parken dürfen, musste auch ich mir eine Erlaubnis holen. Und wieder ein großes Lob an die genuesische Bürokratie, ich musste nur ein Formular ausfüllen, behaupten, dass ich hier wohne, 20 Euro Gebühren entrichten und schon hatte ich die Erlaubnis.

Ansonsten sind die ersten Besucher hier eingetroffen. S. aus Berlin war schon im März da und hat noch eine Ahnung vom Winter mitbekommen, schien aber dennoch von Genua angetan. Es ist ja auch eine wirklich sehr schöne Stadt, ich hänge heute doch noch einige Fotos an. F. aus Neapel war über Ostern da und musste mich ertragen, wie ich nur über das Land gemeckert habe. Mein Heuschnupfen hatte meine Stimmung halt nicht verbessert, aber dafür können die Italiener ja nichts. Obwohl, wer weiß...?

Und dann waren vor knapp 2 Wochen meine Eltern da, die wirklich beeindruckt und begeistert waren. Zum Urlaub machen ist es auch wirklich wunderschön hier, also verpasst es nicht! Vor allem haben mir meine Eltern mein Fahrrad mitgebracht, mit dem ich auch schon eine kleine Runde gedreht habe. Da meine neue Wohnung auch nicht so sehr auf dem Berg liegt, wie die alte, wird das Radfahren deutlich vereinfacht. Am kommenden Wochenende startet hier in Genua der Giro d’Italia und da könnte ich ja einfach mitmachen...

Eine weitere Neuigkeit ist, dass ich mich jetzt auf Arbeitssuche machen werde, dann kann ich meinen Aufenthalt hier möglicherweise noch in den Juli ausdehnen. Das war jetzt noch ein Wink mit dem Zaunpfahl an Euch.

Schöne Grüße! Daniel

PS: Foto1 zeigt einen Überblick über die Altstadt, um es zu machen, bin ich mit meinem charmantesten Lächeln in einer Finanzberatungskanzlei in einem Genueser Hochhaus vorstellig geworden. Foto2 zeigt den Porto Antico (den neu aufgemachten alten Hafen) am Abend und Foto3 zeigt das Haus von Kolumbus und das westliche Stadttor, die Porta Soprana.